Information Design: die transformative Kraft für die Stadtentwicklung
Was ist Information Design? Und was hat es mit der Entwicklung von Städten zu tun? Dies beantworten uns Nicolas Beucker und Jeannette Weber. Anlass ist die Ausstellung "Planetary Urbanism + Learning City Gelsenkirchen".
Auf neun Milliarden Menschen wächst voraussichtlich unsere Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050. Der Großteil davon wird in Städten wohnen. 90 Prozent des Wachstums der urbanen Bevölkerung wird in Asien und Afrika erwartet, wo im Jahr 2050 voraussichtlich auch nahezu dreiviertel der urbanen Weltbevölkerung leben werden.
Zahlen erschließen uns die Welt, das erfahren wir täglich aufs Neue. Big Data versorgt uns mit detaillierten Informationen über viele Sachverhalte – teilweise in Echtzeit aktualisiert. Dabei werden Daten gezielt erhoben, aber auch mehr oder weniger wahllos und fortlaufend neu erfasst. Sind sie einmal da, stehen sie zur Verfügung: Daten aus der Welt – über die Welt – für die Welt. Die schiere Masse übersteigt unsere Möglichkeit, sie auszuwerten und zu verstehen.
Zugänglich auf den ersten Blick – die Infografik
In der Auseinandersetzung mit Informationen sind wir darauf angewiesen, dass die Daten ausgewählt, aufbereitet und nutzbar gemacht werden. Denn einzelne Daten allein erzeugen noch keinen Sinn. Erst in ihrer Zusammenstellung und Vergleichbarkeit erhalten sie eine Bedeutung. Die Daten lassen sich grafisch bzw. bildlich darstellen, in Form von Informationsgrafiken. Durch Information Design werden Daten zugespitzt, anschaulich, einprägsam und anwendbar.
Nach dem österreichischen Ökonom und Wissenschaftstheoretiker Otto Neurath muss eine Informationsgrafik auf den ersten Blick einen Zugang gewährleisten, mit dem zweiten Blick ein Thema vermitteln, erst dann folgen Details. Zusammenhänge werden visuell herausgearbeitet und so dargestellt, dass sie als Ganzes erfasst werden können. Darin liegt die besondere Stärke, aber auch die Verantwortung von Information Design. Im Ringen um die Aufmerksamkeit des Betrachters rückt eine ausgewählte und vereinfacht dargestellte Aussage ins Blickfeld. Die leicht zugängliche Bildsprache macht die Aussage zusätzlich emotional erfahrbar. Daraus entstehen Geschichten, die wir als Betrachter leichter erinnern und wiedererzählen können. Information Design macht aus Daten eine Erzählung.
Information Design bietet Orientierung
Allerdings sind Informationsgrafiken nicht nur ein Mittel, um Botschaften klar und verständlich auszudrücken. Sie sind mindestens genauso Hilfestellung, um in undurchsichtigen Situationen Zusammenhänge zu illustrieren. So macht zum Beispiel erst das gelungene Information Design des Streckenplans der London Underground die ansonsten unsichtbaren Verbindungen für die Nutzer der U-Bahn erkennbar.
Gutes Information Design bietet außerdem Orientierung, in dem es Bedeutungsebenen hierarchisiert. Es stellt einen Fokus her. Durch die Auswahl einer bestimmten Perspektive und die Ordnung von Werten spitzt Information Design zu und initiiert neue Debatten.
Vier Beispiele von Information Design in der Stadtentwicklung
Information Design macht Unsichtbares sichtbar
Der viel zitierte Nolli-Plan, den der Architekt Giovanni Battista Nolli circa 1748 entwickelte, zeigte erstmals die öffentlich zugänglichen Räume der Stadt Rom. Dadurch schuf er ein neues Bewusstsein für die Durchdringung von öffentlichen und privaten Flächen der Stadt.
Information Design rückt ins Licht und fokussiert
Das Bild der Stadt, so wie es Kevin Lynch in den 1950er-Jahren von Bürgern aus ihrer Erinnerung rekonstruieren ließ, brachte neue Begriffe der Stadtbeschreibung hervor. Mit den von ihm identifizierten Kategorien "Merkzeichen", "Brennpunkte", "Bereiche", "Wege" und "Grenzen" lassen sich kognitive Stadtkarten zeichnen. Diese stellen dar, woran sich Menschen in einer Stadt orientieren. Lynchs Analysen und Begriffe beeinflussten viele Planungsprozesse und schufen scheinbar objektive Qualitätsmerkmale für Planer. Dabei ging es dem Stadtforscher selbst viel mehr darum, gerade den subjektiven Blick zu nutzen, um die sinnlichen Zusammenhänge im Stadtbild zu ermitteln.
Information Design stellt neue Zusammenhänge her
William H. Whyte untersuchte in den 1960er-Jahren, wie sich das Leben auf öffentlichen Plätzen entwickelte. Durch seine Langzeitbeobachtungen entstanden, basierend auf quantitativen Daten, nachweisbare Bewegungsmuster. Whytes Beobachtungen von Aufenthaltsgewohnheiten auf Plätzen gaben darüber Aufschluss, nach welchen Mustern Räume genutzt werden. So markierte er z.B. die Zonen der Plaza des Seagram Buildings in New York, in denen Menschen sich aufhielten, um sich mit anderen zu unterhalten. Whytes Methoden wurden unter anderem vom dänischen Architekt Jan Gehl ausgebaut und führen heute zu datenbasiertem Umdenken hinsichtlich einer am Menschen ausgerichteten Stadtplanung.
Information Design erzeugt Sinn
Die von Christopher Alexander im Jahr 1977 veröffentlichte "Pattern Language" beschreibt systemische Kontexte unserer gebauten Lebensräume in stark vereinfachten, aber schnell verständlichen Mustern. (Das Beispiel der Grafik der small work groups verdeutlicht, wie dezentrale Produktion verstanden und darsgestellt werden kann). Alexander wollte mit den von seinem Team identifizierten 253 Mustern unter anderem Vorlagen für Stadtgestaltung entwickeln, die dem Nutzer gerecht wird. Seine Erkenntnisse sind nicht im strengen Sinne wissenschaftlich belegbar, aber allgemein nachvollziehbar. Unter anderem hat gerade diese Selbstverständlichkeit der Muster dazu geführt, dass sie von Planern oft beargwöhnt und selten in der Praxis angewandt werden.
Information Design initiiert Handlung
Der Physiker John Snow analysierte die geografische Verortung von Todesfällen während einer Cholera-Epidemie in London. Durch Markierung der Todesfälle auf einer Karte konnte er Muster nachweisen, die die Ausbreitung der Krankheit besonders begünstigten. Erstmas wurde dadurch festgestellt, dass verunreinigte Wasserpumpen als Übertragungsquellen die Ausbreitung von Cholera beschleunigten. Snows Erkenntnisse aus dem Jahr 1854 führten zu weitreichenden Veränderungen in der Wasser- und Abfall-Infrastruktur Londons sowie einer Verbesserung des öffentlichen Gesundheitswesens.
Die Bedeutung von Information Design wächst
Heutzutage kommt dem Information Design in der sogenannten Wissensgesellschaft (und zum Beispiel auch durch eine Thematisierung in der Ausstellung „Planetary Urbanism + Learning City Gelsenkirchen“) wieder eine transformative Kraft in der Stadtentwicklung zu. Der Grund dafür ist auch die Konzentration auf Bilder. Denn diese ermöglichen es eher, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die sonst nicht an einer abstrakten Diskussion über Stadt teilnehmen würden. Dabei hilft auch, dass die Komplexität der Darstellung von Information reduziert ist. So werden aus anonymen Lieferanten von Nutzerdaten wirkliche Gesprächspartner für die Gestaltung von Lebensräumen. Auch die zunehmende freie Nutzung von Daten der öffentlichen Verwaltung (Open Data) benötigt Darstellungsformen, die einen leichten Zugang ermöglichen. Nur so lässt sich das Potenzial der Zivilgesellschaft gewinnbringend für Stadtentwicklung einbinden.
Gutes Information Design wird in Zukunft zu einem zentralen Instrument, um Kommunikation zu steuern. Denn die Daten sind überall. Wer aber stellt die Fragen, nach denen wir die vorliegenden Daten sortieren und in Beziehung setzen? Wer nimmt den ersten Fokus vor? Welche Macht erhalten jene, die Daten sortieren, komprimieren und visualisieren? Die Fragestellung zur Datenvisualisierung ist nicht weniger komplex und interessant als die Datenbestände selbst.
Die Autoren
Jonas und die Stadt wurde 2017 gegründet von Nicolas Beucker, Martin Platzer und Jeannette Weber. Als neues Designstudio sind sie dennoch nicht »neu im Viertel«. Schon seit mehreren Jahren arbeiten Sie gemeinsam im Kompetenzzentrum Social Urban Design der Hochschule Niederrhein und an außerinstitutionären Projekten. Bei Jonas und die Stadt bringen sie nun ihre Kompetenzen der Stadtforschung, des Produkt-, Kommunikations- und Service Design und der Raum und Umgebungsgestaltung zusammen.
Die Ausstellung "Planetary Urbanism + Learning City Gelsenkirchen" beschäftigte sich in sechs Themenbereichen mit globalen Hausforderungen der Verstädterung. Teil 4 der Blog-Serie geht der Frage nach: Wem gehört die Stadt?
Die Digitalisierung verändert unsere Kommunikation. Sie verändert aber auch die Stadträume, in denen wir leben. Was es bedeutet, wenn die Stadt digital vernetzt ist und sich realer und virtueller Raum verbinden?
Die Verstädterung der Welt wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Das M:AI zeigte im Wissenschaftspark Gelsenkirchen die Ausstellung „Planetary Urbanism + Learning City Gelsenkirchen“ zu den globalen Herausforderungen der Verstädterung.
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