21.08.2024
B wie Baukultur
Das Projekt „B wie Baukultur“ fördert die baukulturelle Bildung von Grundschulkindern – mit einem modularen Lehrkonzept, verschiedenen Medien und Informationen sowie einer App.
Am Anfang stand der Wunsch. Per Mentimeter wurde im Publikum gefragt, was es sich für den zweiten Tag wünscht. Die Antwort war: mehr Konkretes. Am Ende stand die Haltung: Peter Köddermann von Baukultur NRW fasste die zwei Kongresstage „Building Bildung“ als Auseinandersetzung mit der Baukulturellen Bildung so zusammen: „Wir haben die zwei Tage genutzt, um ein anderes Spotlight auf Architektur und Baukultur zu richten. Für die Zukunft der Baukulturellen Bildung braucht es mehr Haltung und es braucht neue Allianzen sowie Gemeinschaften.“
Vor dem Fazit stand aber zunächst Diskussion. Der Kongress „Building Bildung“ ging am Freitag im Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen weiter. Baukultur NRW hatte eingeladen, um an zwei Tagen über Baukultur in der schulischen Bildung, aber auch den Klimawandel und die Veränderungen der am Bau beteiligten Berufe zu diskutieren.
Dirk Hebel vom KIT in Karlsruhe machte den Auftakt und blickte auf alternatives Konstruieren – etwas, dass er selbst in seiner Ausbildung vermisst hat. Warum nicht mit einer Seealge dämmen und mit Pilzen kleben? Um nur zwei Beispiele zu nennen. Um weniger CO2-Emissionen zu erzeugen – was die Baubranche als größter Nettoemittent in Deutschland derzeit tut – brauche es anstelle eines linearen Wirtschaftssystems ein kreisläufiges.
In Anlehnung an Richard Rogers plädierte Hebel für eine Stadt als Gebraucher – und nicht Verbraucher. Wenn es zum Abriss komme, werde aktuell kein Gedanke darauf gerichtet, wie sich verbundene Stoffe trennen ließen. Das macht Recycling nur sehr eingeschränkt möglich.
Nutzen wir zukünftig öfter gebrauchte Materialien beim Bauen, wird sich auch die architektonische Sprache ändern. Auf den Punkt brachte Dirk Hebel die veränderte Perspektive mit dem Satz: „Müll ist ein Designfehler“ und sprach sich für Wiederverwendung und Wiederverwertung aus. Mit vielen Beispielen von Start-ups oder Projekten vom Solar Decathlon unterstrich er die Möglichkeiten für eine andere Architektur und eine andere Baukultur.
Lillith Kreiß von „Architects for Future“ (A4F) knüpfte an Dirk Hebels Ausführungen zur Kreislaufwirtschaft an und richtete den Blick auf die Zukunft: „Wenn wir nicht für die Zukunft bauen, wofür bauen wir denn dann?“ Und weiter: „Die Materialienwende ist das, worauf es ankommt.“ Dezidiert nahm sie auch den Nachhaltigkeitsbegriff in den Fokus. Dieser fuße unabänderlich auf der Ökologie. Alles andere komme danach.
Entsprechen ihrem Engagement bei A4F verbindet Lillith Kreiß die Sensibilisierung für die Umwelt und einen anderen Materialeinsatz mit dem Appell, sich einzusetzen: „Wissen muss in Schulen und Kammern rein. Wir müssen die Auswirkungen des Bauens auf das Klima deutlich machen, dazu Bauherr*innen aufklären und Kommunen beraten. Wir müssen Fragen stellen und uns an Gesetzgebungsverfahren beteiligen.
Ebenfalls mit einer Perspektive auf die Nachhaltigkeit äußerte sich die Umweltpsychologin Katharina Beyerl. Sie nannte Komplexität als Barriere für mehr Nachhaltigkeit, die sich mit unserer Beschränkung paart, unser Handeln umfassend wahrzunehmen. Ein großes Problem, wenn wir uns komplexen, verflochtenen Situationen ausgesetzt sehen. Bei aller Richtigkeit, dass der Klimawandel das bestimmende Thema sei, lenkte Beyerl den Blick auf weitere, mindestens genauso wichtige (wenn nicht wichtigere Themen): der Landnutzungswechsel (Versiegelung, Landwirtschaft, etc.), der Mangel an Phosphor uns besonders das Schwinden der Biodiversität und der genetischen Vielfalt.
Den aktuellen gesellschaftlichen Zustand beschrieb die Architektin Angelika Hinterbrandner, die als Journalistin arbeitet und an der ETH Zürich lehrt, als Polykrise – alles hängt miteinander zusammen, nichts lässt sich separat lösen. Kurz gefasst mit dem Akronym „VUCA“ (Volatilität, Unsicherheit; Komplexität, Ambiguität) führte Hinterbrandner die aus ihrer Sicht bestimmenden Rahmenbedingungen aus und forderte im Weiteren ein Moratorium des Bauens und eine Bauwende.
Elke Krasny von der Universität der bildenden Künste Wien nahm die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses mit in die Epoche der Aufklärung, in der das Bild des Architekten konstruiert und rein männlich geformt wurde. Dieses gelte es zu dekonstruieren und neu zu bestimmen. Es sei wichtig, Architektur als Sorgetragen zu begreifen. Denn: Architektur verbindet unsere Körper mit der Umwelt. Somit verband Krasny in ihrem Vortrag sowohl eine andere Herangehensweise an die Architektur und die Lehre derselben als auch ein verändertes Selbstverständnis des Berufs.
Dieses formulierte auch der Architekt Matthew Griffin vom Berliner Büro Deadline und beschrieb seinen Ansatz als Architekt zu arbeiten, indem er das Projekt Frizz23 erläuterte (Finalist des Mies Award 2022), dass das Projekt einer Gewerbebaugruppe darstellt kleinteiliges Kreativgewerbe, ein Hotel und sowie ein Bildungszentrum. Für Griffin gehen Aktivismus und Architektur Hand in Hand.
„Stadt ist Dialog“, sagt Griffin. Und: „Erst der Dialog, dann das Design.“ Diese beiden Sätze beschreiben gut, wie Griffin mit seiner Partnerin Britta Jürgens sowohl das kooperative Projekt strategisch angegangen ist, als auch wie er die Stadtentwicklung und Architektur begreift. „Die Stadt ist für die Menschen da, nicht für das Investment.“
Einen weiteren Impuls, die Arbeits- und Lehrweisen zu überdenken, gab Ifa_diaspora der TU Berlin. Als Initiative, Plattform und Netzwerk stehen die Mitglieder für eine multiperspektivische Herangehensweise. Und genau diese „Multiperspektive fehlt in der Architekturlehre“, sagten Renée Tischer und Samuel Hilari, die per Video zugeschaltet waren. Zentral für ifa_diaspora ist die Frage: Wie können wir die Lehre aktiv mitgestalten?
Daraus folgt das Hinterfragen des eigenen Weltbilds sowie das Anerkennen von zeitgenössischen kolonialen Prägungen und das Ermöglichen alternativen Formen der Wissensproduktion. Des Weiteren: Welches Wissen wird vermittelt? Wer hat Zugang zum Lernort? Wer gestaltet die Lehre?
Uwe Bresan stellte unter dem Titel „Das Coming-Out der Architektur“ unterschiedliche Biografien von homosexuellen Architekten aus den USA und Deutschland vor. Dem Vortrag geht Bresans Arbeit am Buch „Schwule Architekten – Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“ voraus, das er in diesem Jahr mit Wolfgang Voigt geschrieben hat. Er geht auf bekannte Architekten ein, wie etwa Philip Johnson oder Friedrich Wilhelm Kraemer, beschreibt aber auch unbekanntere Biografien. Meist sind es verschwiegene Lebensläufe, die auch die Frage aufwerfen, welches Bild wir von Architekten und Architektinnen haben und wie dies unsere Kultur prägt. Bresan sagte dementsprechend: „Verstehen Sie meinen Vortrag als Impuls, neu zu gucken“. Sein Impuls ist im Sinne des Kongresses ein weiteres Mal eine Gelegenheit, eine neue Perspektive auf die Architektur und die Baukultur einzunehmen.
Der zweite Kongresstag lässt sich wie auch der erste Tag on demand im YouTube-Kanal von Baukultur NRW ansehen.