Foto: Anke Leitzgen

Lernen, die eigene Welt zu gestalten

Baukultur NRW entwickelt in Kooperation mit „tinkerbrain“ ein Angebot zur „Baukulturellen Bildung“ für Grundschulen. In Fleckenberg im Sauerland haben Schülerinnen und Schüler „B wie Baukultur“ ausprobiert. 

Mit dem Tablet in der Hand läuft Jasper auf den Schulhof, sein Blick schweift umher. Boden, Fassade, Tür – aus welchen Materialien besteht sein Schulgebäude? Schnell hat der Viertklässler die Schieferverkleidung entdeckt und fotografiert, den Namen des Materials schreibt er direkt auf das Foto. Lioba und Leni fotografieren das Geländer und den Putz an den Wänden, Jasper eilt inzwischen schon zum nächsten Objekt. Nach zehn Minuten geht es für sie und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler zurück in den Klassenraum.

In der katholischen Grundschule Fleckenberg im Sauerland findet an drei Tagen ein Workshop statt. Thema ist die Wohlfühlschule. Wie nehmen die Kinder ihre Umgebung war, wie empfinden sie ihre Klassenräume, wo halten sie sich gerne auf, wo nicht? Der Workshop ist Teil des Projekts „B wie Baukultur“ von Baukultur NRW in Zusammenarbeit mit „tinkerbrain - Institut für Bildungsinitiativen“. 

„Wir wollen Kinder für ihre gestaltete und bebaute Umwelt sensibilisieren und ihnen zeigen, dass sie ihre Welt beeinflussen können. Die Kultur des Bauens und der Umgang mit Gebautem ist ein Thema, das uns alle betrifft und fordert“, sagt Peter Köddermann, Geschäftsführer Programm von Baukultur NRW, zum Projekt „B wie Baukultur“.

Mit allen Sinnen wahrnehmen

Basierend auf einer Idee von Baukultur NRW wurde das Projekt von Anke Leitzgen konzipiert. Die Lerndesignerin und Gründerin von „tinkerbrain“ hat viele Jahre Erfahrung in der Bildungsarbeit und speziell in der Vermittlung von Architektur, Stadtplanung und eben Baukultur. „Es ist entscheidend, dass Kinder die Fähigkeit entwickeln, ihre Umgebung mit allen Sinnen wahrzunehmen und diese aktiv zu gestalten“, schreibt sie im Magazin Nr. 4 von Baukultur NRW zum Thema „Baukulturelle Bildung“.

In der Grundschule Fleckenberg begleitet Anke Leitzgen die Workshops, schreibt mit, stellt Fragen und verbessert auch direkt mal eine Aufgabe, wenn diese für die Schülerinnen und Schüler nicht verständlich ist. Denn „B wie Baukultur“ ist noch in der Pilotphase. Im Vorjahr hat der Workshop an zwei Gemeinschaftsgrundschulen, der GGS Flurstraße in Düsseldorf-Flingern sowie in der GGS Wahlscheid in Lohmar stattgefunden, nun ergänzt Anke Leitzgen die Eindrücke zuerst in Schmallenberg-Oberkirchen und jetzt ein paar Kilometer weiter Fleckenberg.

„B wie Baukultur“ wird nach seiner Testphase zunächst durch eine begleitende Website ergänzt, bevor das Projekt der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Die Website stellt allen interessierten Schulen Lernmaterial für Lehrer*innen zur Verfügung, dazu Zeitpläne, Abläufe und nicht zuletzt Anwendungstipps. Ab der zweiten Jahreshälfte 2024 sollen alle Schulen „B wie Baukultur“ im fachbezogenen, fächerübergreifenden und Ganztagsunterricht einsetzen können. 

Digitale Fundstücke

Zurück im Klassenraum beamt Lehrerin Julia Klostermann die Fundstücke der Schüler*innen von den Tablets auf die Leinwand. Die Mädchen und Jungen erzählen, Gruppe für Gruppe, was sie gesehen haben, als sie ihre Schule von außen untersucht haben.

Die Eindrücke vom Schulhof besprechen die Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer. Links vorne: Anke Leitzgen, die das Projekt zur „Baukulturellen Bildung “für Baukultur NRW umsetzt. Foto: Annabell Bialas
Die Eindrücke vom Schulhof besprechen die Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer. Links vorne: Anke Leitzgen, die das Projekt zur „Baukulturellen Bildung “für Baukultur NRW umsetzt. Foto: Annabell Bialas
Lehrerin Julia Klostermann und ihre Klasse während der Gruppenarbeit von „B wie Baukultur“. Foto: Timo Klippstein
Lehrerin Julia Klostermann und ihre Klasse während der Gruppenarbeit von „B wie Baukultur“. Foto: Timo Klippstein
Die Ergebnisse werden festgehalten – mit Punkten auf Papier und mit dem Smartphone. Foto: Timo Klippstein
Die Ergebnisse werden festgehalten – mit Punkten auf Papier und mit dem Smartphone. Foto: Timo Klippstein
Gruppenarbeit gehört beim Projekt „B wie Baukultur“ dazu. Im Hintergrund unterhalten sich Lehrerin Julia Klostermann (links) und Anke Leitzgen. Foto: Annabell Bialas
Gruppenarbeit gehört beim Projekt „B wie Baukultur“ dazu. Im Hintergrund unterhalten sich Lehrerin Julia Klostermann (links) und Anke Leitzgen. Foto: Annabell Bialas

Es sind Dinge darunter, die sie zuvor übersehen haben. Zum Beispiel die Figur von Lehrer Lempel auf der Schieferfassade des alten Schulhauses oder der kleine Bewegungsmelder unter dem Dach über dem neuen Eingang. Für viele Kinder eine Überraschung. Oskar etwa hat auf einem Schild die Nummer für den Notarzt gefunden.

Struktur und Gewohnheit im Alltag – das liefert die Schule im positiven Sinne. Im Workshop brechen die Schülerinnen und Schüler diese Gewohnheiten auf. Es wird Ihnen zum Beispiel bewusst, was sie umgibt, woraus die Stufen der Treppe bestehen, über die sie nachmittags nach Hause gehen. Sie lernen, dass sie sich in gestalteten Räumen bewegen – und dass diese eine bestimmte Wirkung auf sie haben. Vor allem aber sollen sie mitnehmen, dass Raum gestaltbar bleibt, und zwar auch von ihnen selbst. 

Das didaktische Konzept des Moduls „Wohlfühlschule“ zielt darauf ab, die Schule und den Klassenraum zu einem Wohlfühlort zu machen, in dem die Schülerinnen und Schüler kleine Interventionen ausprobieren und die Räume verändern. 

„Besser als normaler Unterricht“

Eine besondere Wirkung haben auch die Tablets, mit denen die 24 Schülerinnen und Schüler der Grundschule Fleckenberg arbeiten. Denn „B wie Baukultur“ ist ein crossmediales Projekt. Ganz selbstverständlich nutzen sie die Tablets, fotografieren, drehen kleine Videos, machen Sprachaufnahmen. Das kommt gut an: „Es ist viel besser als normaler Unterricht, denn hier können wir viel mehr machen, als nur schreiben“, sagt ein Junge.

Foto: Anke Leitzgen
Foto: Anke Leitzgen
Foto: Anke Leitzgen
Foto: Anke Leitzgen
Foto: Anke Leitzgen
Foto: Anke Leitzgen

Letztlich sind mit den Tablets Aufgaben verbunden: „Zeichne den Eingang deiner Schule aus dem Kopf auf das Mitmachblatt“, „Klebe eine Collage deiner Schule auf ein DIN-A4-Blatt“ oder „Aus welchem Material wurde Deine Schule gebaut.“ Dabei kombiniert „B wie Baukultur“ unterschiedliche Wege, um Inhalte zu vermitteln.

Es gibt Aufgaben, Fragen, Gruppen- und Einzelarbeiten mit und ohne Tablet. Die Schülerinnen und Schüler basteln, schreiben, tauschen sich aus und arbeiten zusammen,  stehen zwischendurch auf und bewegen sich. Sie bilden ihren „Wohlfühlraum“ auf den Klassenboden ab, laufen durch die Flure, stürmen auf den Pausenhof, gehen im Klassenzimmer umher – immer auf Entdeckungstour. 

Freiheiten – eine neue Erfahrung

„Für viele Kinder sind solche Freiheiten eine ganz neue Erfahrung“, sagt Anke Leitzgen. Das von ihr gestaltete Lerndesign dient als Werkzeug, um Denk- und Arbeitsgewohnheiten herauszufordern und zu überprüfen. Drei unterschiedliche Module (Sehen lernen, Raum verstehen und Selber entwerfen) bringen verstärkt das sinnliche Erleben der gebauten Umgebung in die Schule und zeigen, wie das eigene Klassenzimmer durch praktisches Ausprobieren zu einem angenehmeren und spannenden Lern- und Lebensraum werden kann. Auf diese Weise werden physische wie digitale Räume zu Orten bedeutungsvoller Erfahrungen. Und die Kinder lernen ganz nebenbei architektonische und baukulturelle Begriffe, eigenen sich neue Kompetenzen an, wie crossmediales Arbeiten, Ausdrucks- und Teamfähigkeit.So auch in Fleckenberg.

Lehrerin Julia Klostermann von der Katholischen Grundschule in Fleckenberg. Foto: Anke Leitzgen
Lehrerin Julia Klostermann von der Katholischen Grundschule in Fleckenberg. Foto: Anke Leitzgen
Für den Workshop hat Lehrerin Julia Klostermann im Vorfeld alle notwendigen Materialien, Informationen und Anweisungen erhalten. Damit leitet sie die Gruppen immer zu den Aufgaben, erklärt oder beantwortet Fragen. „Der Anfang heute Morgen war etwas aufregend für uns alle“, erzählt sie in einem Moment, als die Kinder draußen sind. Das Einführungsvideo haben sie sich deshalb zwei Mal angesehen, und dann sei alles in Gang gekommen.

Vom leeren Raum zum Wohlfühlraum

An den nächsten zwei Tagen warten noch spannende Momente auf die Klasse, wenn etwa an Tag zwei ein leerer Klassenraum auf die Kinder wartet und sie sich selbst ihren Wohlfühlraum schaffen sollen. Mit dem Tablet in ihrer Hand werden sie dann wieder alles fotografieren und dokumentieren, für sich und für ihre Klassenkameradinnen und Klassenkameraden, aber auch für alle Schülerinnen und Schüler ihrer Schule, die sich am Ende des Workshops auf eine kleine Ausstellung freuen dürfen.

 


Die Module des Projekts
„B wie Baukultur“ ist ein crossmediales Projekt, das mehrere Module umfasst. Praktisch umgesetzt wird es als mehrtägiger, modularer Workshop, der sich je nach Bedarf in den Klassen anpassen lässt. Das erste Modul heißt „Wohlfühlschule“, im Projektverlauf folgen in den kommenden Jahren „Von der Haustür bis zur Schule“ und „Draußen lernen“. Ziel des Projekts ist es, den Lehrkräften die Rolle als Lernbegleitern zu ermöglichen, um eine Sensibilisierung für die gestaltete Umwelt zu vermitteln und dabei die Kinder noch ein bisschen besser kennen- und einschätzen zu lernen. Schöner Nebeneffekt: Die Auseinandersetzung mit der eigenen Klasse löst fast wie von selbst das ein oder andere Raumproblem, das vielleicht schon länger stört.

Ihr Kontakt für diesen Bereich

Peter Köddermann

Peter Köddermann
Projektleitung Building Bildung

T 0209 402 441-0
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