Kleine Maßnahme, große Wirkung: die Hygroskin – hier am Basler Dreispitz-Gelände – kühlt die Temperatur der Umgebung sichtbar herunter.
Kleine Maßnahme, große Wirkung: die Hygroskin – hier am Basler Dreispitz-Gelände – kühlt die Temperatur der Umgebung sichtbar herunter. Foto: Jascha van Gogh

Sofortmaßnahmen für klimaangepasste Städte: Interview mit Urban Designer Ben Pohl

Annika Stremmer und Fenna Tinnefeld im Interview mit dem Urban Designer Ben Pohl über effektive und sofort umsetzbare Möglichkeiten unsere Städte dem Klimawandel anzupassen. Dabei rücken vor allem Schwammstadtelemente in den Fokus.

Heißer. Trockener. Versiegelter. Überfluteter. So sehen immer mehr Städte aus – und so fühlen sie sich auch an. Daher ist Klimaanpassung in den Städten die Lösung, um sie lebenswert zu gestalten. Die Strategie, um dies zu erreichen, ist: unsere Städte zu Schwammstädten umzubauen. Dazu braucht es Elemente, die Regenwasser aufnehmen, speichern und sie wieder an die Umgebung abgeben, sie somit kühlen. Außerdem lassen sich auf diese Weise Pflanzen bewässern oder überschüssige Flüssigkeit ins Grundwasser ableiten.

Annika Stremmer und Fenna Tinnefeld sprechen zu dem Thema mit Ben Pohl von Denkstatt sàrl aus der Schweiz und fragen ihn, wie schnell, kostengünstig, effektiv und gemeinschaftlich solche Klimaanpassungsmaßnahmen funktionieren können. Pohl ist Urban Designer und arbeitet seit 2016 bei Denkstatt sàrl an sozialräumlichen Entwicklungskonzepten, Dialogformaten und urbaner Kommunikation. Sein Repertoire an wissenschaftlichen und gestalterischen Methoden setzt er ein, um sich in die verschiedenen Ebenen des Alltags, der Planungswelten sowie der Eigentümer- und Finanzierungsstrukturen produktiv einzumischen.

Schwammstadt klingt sehr groß, Herr Pohl, was halten Sie von diesem Konzept? Inwiefern lassen sich davon kleinere Elemente in eine Stadt integrieren?

Ben Pohl auf dem Kongress „Grün Blau Grau“ von Baukultur NRW im Jahr 2024. Foto: Sebastian Becker
Ben Pohl auf dem Kongress „Grün Blau Grau“ von Baukultur NRW im Jahr 2024. Foto: Sebastian Becker
Ben Pohl: Schwammstadt verstehe ich als kommunikativ sehr handlichen Begriff, der es ermöglicht, viele komplexe technische Themen einfacher zu vermitteln und politisch zu vereinen. Zum Beispiel Veränderungen von großen Infrastrukturen wie Regenwasser-Retention (Anm. d. Redaktion: z. B. das Auffangen und Zurückhalten von Regenwasser) und Kanalisation, wie auch sehr greifbare Dinge wie Entsiegelungen, Dachbegrünungen und Hitzeminderungen. Im Kern geht es dabei zunächst einmal weniger um Klimaschutz als um Fragen der Klimaanpassung.

Mit anderen Worten: Städte und Regionen sollen besser mit den zunehmend unvorhersehbaren Wetterereignissen umgehen können, die der Klimawandel mit sich bringt. Oder ganz einfach: Die Städte und Regionen sollen so umgestaltet werden, dass Regenwasser oder Hochwasser nicht an der Oberfläche von Dächern, Plätzen und Straßen abfließt, sondern möglichst vor Ort versickert, langsamer abfließt oder als Ressource für Trockenperioden gespeichert werden kann.

Neben den großen und langen Planungen der Transformation von Infrastrukturen und großflächigen Entsiegelungen geht es dabei auch immer häufiger um kleinere Sofortmaßnahmen, die Akzeptanz von Veränderungen und die alltägliche Nutzungsqualität. Starkregen und Hitzeperioden nehmen zu, der Klimawandel macht Wetterereignisse extremer, das führt zu massiven gesundheitlichen und ökonomischen Schäden. Dennoch entzünden sich an jedem Parkplatz, der aufgehoben werden soll, die Gemüter.

Was sind die Vorteile von kleinen Sofortmaßnahmen?

Aktuell sehen wir in den meisten Städten mehr oder minder innovative Versuche, um Antworten auf Fragen von Begrünung, Beschattung und Abkühlung zu finden. Das ersetzt die langfristigen Transformationen nicht, es kann aber schon heute mehr sein als reine Dekoration oder hilfloser Aktionismus. Sofortmaßnahmen können einen effektiven Beitrag zur Abkühlung, für die Biodiversität und die Aufenthaltsqualität leisten. Wenn sie richtig angelegt werden, lassen sich auch relativ große Maßstäbe und Skalierungen erreichen – dann können damit auch Retentionseffekte für Regenwasser erzielt werden.

Der wichtigste Aspekt aber ist, dass mit kleinen Maßnahmen sehr gut und ohne große Kosten getestet werden kann, was wirksam ist. So erkennen wir, wie dies in die Prozesse der Kommunen integriert werden kann, wie die Dinge im Alltag und Gebrauch funktionieren, welche Kosten in Erstellung und Unterhalt es verursacht oder welche neuen Partnerschaften sich mit der Zivilgesellschaft bilden lassen.

Gibt es konkrete Ergebnisse, die die Effektivität von kleinen Schwammstadtelementen und solche Lernprozesse untermauern?

Mit B/IAS (Basel Insititut für angewandte Stadtforschung) haben wir im Rahmen der Nutzungstransformation eines Industriegebietes in Basel an verschiedenen Fragen zu kleinen Sofortmaßnahmen gearbeitet. Die Christoph Merian Stiftung hat das Projekt „Klimapioniere“ und die Untersuchungen gefördert. Einer dieser Klimapioniere ist das Projekt „Hygroskin“. Die „Hygroskin“ ist als Sofortmaßnahme für das Stadtklima und für Situationen gedacht, wo entsiegeln nicht möglich ist, zum Beispiel weil es unterirdische Infrastrukturen gibt oder auch wenn Planungsvorläufe zehn Jahre oder mehr dauern. Sie ersetzt aber keine Entsiegelungen und keine Bäume.

Die Hygroskin in Basel am Dreispitz. Foto: Samuel Bramley
Die Hygroskin in Basel am Dreispitz. Foto: Samuel Bramley

Vorstellen muss man sich „Hygroskin“ als eine Art intensiver Dachbegrünung für die Straße. Auf vorhandenen Flächen wird ein spezieller Substrataufbau von 25 bis 80 Zentimeter wie ein Hügelbeet aufgetragen, der dann intensiv bepflanzt wird und so zugleich Wasser bei Regen aufnehmen und bei Hitze über die Verdunstung der Pflanzen wieder abgeben kann.

Wie ein Hügelbeet: die Hygroskin in Luzern. Foto: Samuel Bramley
Wie ein Hügelbeet: die Hygroskin in Luzern. Foto: Samuel Bramley
Die Hygroskin im Einsatz in Luzern. Foto: Samuel Bramley
Die Hygroskin im Einsatz in Luzern. Foto: Samuel Bramley
Die Hygroskin im Einsatz in Luzern. Foto: Samuel Bramley
Die Hygroskin im Einsatz in Luzern. Foto: Samuel Bramley
Die Hygroskin im Einsatz in Luzern. Foto: Samuel Bramley
Die Hygroskin im Einsatz in Luzern. Foto: Samuel Bramley

Die „Hygroskin“ ist ein Wasserspeicher von mehr als 100 Litern Wasser pro Quadratmeter, sie liefert Abkühlung mit Temperaturunterschieden von 18 bis 25 Grad zum umgebenden Asphalt; sie fördert damit die Biodiversität und die Aufenthaltsqualität.

Hygroskin
Die „Hygroskin“ ist eine Entwicklung von B/IAS. Am Projekt „Hygroskin“ arbeiten eine Reihe von Partner*innen zusammen, die ihre Netzwerke und Expertise beisteuern. Neben der Christoph Merian Stiftung sind das Denkstatt sàrl, B/IAS (mit Robin Kirsch, Jan Nemeth, Vedrana Zalac, Tabea Michaelis), der Verein Dachbegrünung Basel, die Berner Fachhochschule BFH, die oekoskop ag, die Biologin Meret Halter und das Atelier Pionier. In Luzern hat das Büro OSRI den Kontakt zur Stadt Luzern hergestellt, dort Arbeiten aktuell Stadtgrün Luzern und B/IAS zusammen, das Ko:Lab der Hochschule Luzern untersucht zudem, wie Stadtklimawissen als Kooperation von Verwaltungen und Zivilgesellschaft als Stadtklima-Commons organisiert werden kann.

Wir haben den ersten Aufbau mit verschiedenen Substraten und Speichermaterialien unter wissenschaftlicher Begleitung über die vergangenen drei Jahre in Basel getestet und sind jetzt mit der Stadt Luzern im nächsten großen Feldversuch.

Der Vorteil gegenüber Pflanzgefäßen liegt darin: Die „Hygroskin“ kann großmaßstäblich eingesetzt werden, sinnvolle Größen liegen bei 15 bis 60 Quadratmeter und größer. Die Aufbauhöhen sind flexibel von 25 bis circa 80 Zentimeter einsetzbar, die Form kann rechteckig oder frei gewählt werden. Alle Materialien und der Aufbau sind zu 99 Prozent CO₂-neutral, alle Materialien sind kompostierbar oder wiederverwendbar. In der Schweiz können wir das zu einem Materialpreis von ca. 130 Schweizer Franken pro Quadratmeter inklusive Bepflanzung umsetzen, was sehr günstig ist.

In Luzern messen wir mit der Stadt neben den Kosten für Unterhalt und den effektiven Kühlungseffekten auch die Retentionswirkungen als Schwammstadtmodul noch einmal genauer. Aktuell sehen die Ergebnisse aus diesem Sommer in Bezug auf die Kühlung und Unterhalt schon vielversprechend aus.

Die mehreren Schichten der Hygroskin. Grafik: Denkstatt sàrl
Die mehreren Schichten der Hygroskin. Grafik: Denkstatt sàrl

Gibt es noch weitere Erkenntnisse?

Was beim Pilotprojekt in Basel besonders im Fokus stand, war die Biodiversität. Wir haben die Pflanzen so gewählt, dass sie lokale Artengemeinschaften bilden, die gut für Insekten sind. Das Monitoring der Biologin Meret Halter hat dann gezeigt, welchen Impact das auf die Artenvielfalt an Wildbienen und anderen Insekten hat, und wie auch kleine Flächen zu Sprungsteinen für Insekten werden können. Außerdem ging es darum, dass diese Orte nicht nur Biotope für Tiere und Pflanzen sind, sondern zentral die Aufenthaltsqualität für Menschen verbessern.

Bepflanzungen erhöhen die Biodiversität und Aufenthaltsqualität am Deispitz in Basel. Foto: Daniela Valentini
Bepflanzungen erhöhen die Biodiversität und Aufenthaltsqualität am Deispitz in Basel. Foto: Daniela Valentini

Es geht also um das artenübergreifende Zusammenleben in der Stadt. Wir haben daher Trockenbiotop-Zonen und intensive florale Begrünung mit Kühleffekt angelegt. Die Vielfalt der Lebensräume in einer sehr kompakten Fläche von circa 80 Quadratmetern bietet an einem Ende den Menschen einen grünen Bereich mit höheren Sträuchern, am anderen Ende Steine, Stauden und Totholz. Die „Hygroskin“ blüht nahezu über die gesamte Vegetationsperiode.

Wie sieht es bisher mit dauerhaften Umsetzungen aus?

Mit „Stadtgrün Luzern“ arbeiten wir aktuell an einem Skalierungstest. Ziel ist es, dass das Wissen im Zusammenhang mit der „Hygroskin“ als Open-Source-Stadtklimawissen allen Kommunen und Interessierten zur Verfügung steht. In Luzern sind derzeit drei Tests umgesetzt. Ein kurzfristiger Test für eine temporäre Umgestaltung von Straßen. Hier wird über ein Jahr getestet, wie Straßen mehr Kühlung, Aufenthaltsqualität und weniger Autos haben können. Die Hygroskin ist hier in mehreren sehr flachen Aufbauten im Einsatz. Gemessen werden Kühlungseffekte, Bau- und Unterhaltskosten. Weiter gibt es einen langfristigen Test am Neubad. Hier werden auf einer Fläche von zwei Mal 60 Quadratmeter unterschiedliche Aufbauten und Retentionsmaterialien verglichen. Gemessen werden über drei Jahre aber auch Kosten, Unterhalt, Biodiversität, Kühlung, Wasserretention.

Apropos dauerhaft – welchen Pflegeaufwand haben solche Bauten und Pflanzungen?

Die ersten zwei Jahre mit dem Prototypen in Basel haben ergeben, dass wir das je nach Ziel und Bepflanzung betrachten müssen. Wenn ich kühlen will und es heiß ist, muss ich gießen und brauche einen Aufbau, der nicht standortangemessen ist. Das bedeutet, heißer Standort und dennoch intensive verdunstende Bepflanzung. Das baucht entweder eine technische Bewässerungslösung oder jemanden, der gießt. Im Jahr 2024 haben wir vier Wochen bei circa 30 Grad in Basel nicht gegossen, dann ging das Sterben los – vorher hatte das Substrat noch genügend Wasser.

Dieser Stresstest hat uns gezeigt, welche Pflanzen robust genug sind und dies vertragen, wie zum Beispiel Weide und Rose. Es hat aber auch verdeutlicht, dass wir bei Hitze mindestens alle zwei Wochen intensiv die Wasserspeicher wieder füllen müssen. Der sonstige Pflegeaufwand ist eher gering und hat im Jahr 2024 circa 16 Arbeitsstunden für 80 Quadratmeter im Jahr verbraucht. Mit Stadtgrün Luzern evaluieren wir dies noch genauer. Und wir laden andere Gemeinden – auch in Deutschland – dazu sein, Teil des Netzwerkes zu werden und gemeinsam zu forschen.

Ist die öffentliche Hand damit nicht überfordert? Wie lässt sich dies kostengünstig planen, verwalten und unterhalten?

Einer der entscheidenden Punkte ist, dass die Aufgaben der Stadtklimaanpassung so groß sind und in so kurzer Zeit erfolgen müssen, dass die Kommunen damit an personelle, organisatorische und ökonomische Grenzen geraten. Daher müssen wir nach neuen Allianzen suchen, wie die Zivilgesellschaft, private Eigentümer und die öffentliche Hand das zusammen bewältigen können.

Es gab in Hamburg in den frühen 2000er Jahre den Impuls, den öffentlichen Raum in sogenannten Public Private Partnerships zu verwalten. Man hat dazu das amerikanische Planungsinstrument der Business Improvement Districts (BID) eingeführt. Private Eigentümer und öffentliche Hand bündeln und koordinieren ihre Mittel und Arbeiten bei der Gestaltung und dem Unterhalt von öffentlichem Raum zusammen. Man sollte darüber nachdenken, diese Logik umzudrehen und auf Fragen der Klimaanpassung zu übertragen. Die Privaten könnten ihren Beitrag zum Beispiel am Unterhalt von Klimaanpassungen leisten, das würde die Kommunen erheblich entlasten. Wenn Stadtklima alle angeht, ist die Frage, wie ließen sich Public Civic Climate Partnerships für Planung, Unterhalt und Pflege umsetzen?

Wir erleben überall, dass die Kompetenzen in der Zivilgesellschaft vorhanden sind und es darum geht, wie die Kommunen ihre Planungsprozesse öffnen und Zivilgesellschaft einbeziehen können. Einige Kommunen in der Schweiz versuchen, diese Änderung in der Planungslogik inzwischen ganz explizit unter dem Titel „Lernende Planung“ einzuführen. Zum Beispiel erprobt das Tiefbauamt der Stadt Bern dies an diversen Projekten, oder Grün Stadt Zürich testet mit der „Josefina“, wie sich ein Park als „Lernender Park“ entwickeln lässt – ökologisch und sozial nachhaltig.

Schwammstadt im Zuge von Stadtklimaanpassung klingt nach einem Gewinn für alle. Wie lässt sich das Ihrer Meinung nach noch verbreiten?

Was wir bei vielen Stadtklimalösungen derzeit sehen, ist, dass es entweder etwas dilettantische Do-It-Yourself-Kisten-Lösungen sind oder Design-Produkte, wie verzinkte Pflanztöpfe aus Katalogen. Beide sind schlecht skalierbar und oft nicht wirklich nachhaltig. Die DIY-Lösungen zerfallen nach zwei Jahren und die Kataloggefäße, sind oft teuer und mit erheblichem Materialeinsatz und CO₂-Emissionen hergestellt.

Die Hygroskin im Einsatz in Luzern. Foto: Samuel Bramley
Die Hygroskin im Einsatz in Luzern. Foto: Samuel Bramley

Wir verfolgen einen anderen Weg, der nach Skalierbarkeit sucht und zugleich den Klimaschutz und die Kosten im Blick hält. Ökonomisch ist eine Maßnahme am besten, wenn sie von den Stadtgärtnereien mit ihren Werkzeugen und Materialien umgesetzt werden kann und kein teures Produkt gekauft werden muss. Nur so erzielen wir Skalierung. Wir setzen daher bei der „Hygroskin“ auf einen Open-Source-Ansatz. Wir beraten bei der ersten Umsetzung und Einführung in die kommunalen Prozesse, dann sollen die Kommunen es eigenständig und ohne externe Kosten weiterentwickeln können.

Die „Hygroskin“ ist daher kein Produkt, sondern ein Prozess und Open-Source-Wissen. Mit unserem Pool von Expert*innen liefern wir Beratungsleistungen. B/IAS ist daher als gemeinnütziger Verein organisiert. Jede Kommune, die Teil des Netzwerkes werden will, ist willkommen; wir teilen das Wissen und vernetzen die Akteure. Kenntnisse über Stadtklima sollte als Open-Source-Wissen organisiert werden, dazu braucht es auch Geschäftsmodelle, die nicht mit privater Gewinnerzielungsabsicht handeln und dennoch professionelle Arbeit leisten können.

Wie lassen sich Stadtklimaanpassung und Klimaschutz zusammendenken? Was ist dabei aktuell noch das Problem?

Wie sich Klimaanpassung und Klimaschutz zusammendenken lassen, ist ein weites Feld. Auf die aktuellen Sofortmaßnahmen bezogen, ist der erste Punkt, dass wir mit den Anpassungen wie Retention oder Schwammstadt-Elementen, Grün, Schatten und Abkühlung nicht noch mehr Emissionen erzeugen. Wir sollten auch bei der Wahl der Materialien genau hinschauen: Verzinkter Stahl zum Beispiel ist mit hohen Energieaufwendungen und CO₂-Emissionen verbunden; Plastik ist ebenso am Ende seines Lebens meist CO₂ oder schwimmt als Müll im Ozean.

Auch das ist ein Lernprozess: Welches Material eignet sich, welches nicht. Laut Datenblatt gibt es zum Beispiel nachhaltigen Recycling-Asphalt, der sich gut eigenen würde, um die Ränder der „Hygroskin“ zu bauen und eine Art Retentionswanne zu schaffen. Wenn man dann aber sieht, wie und mit welchem Impact sowie direkten Emissionen eine solche Asphalt-Walze erstellt wird, dann nimmt man ganz schnell Abstand davon und sucht nach besseren Materialien.

Sie sprechen oft von Stadtklimaanpassung – sind Sie der Meinung, dass Klimaanpassung primär in Städten umzusetzen ist? Worin besteht der Unterschied dazu auf dem Land?

Zum einen betrifft Klimaschutz und Klimaanpassung alle Räume und Regionen. Diese stehen aber jeweils vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen, was die Anpassungen betrifft oder auch, was ihre Möglichkeiten im Schutz angeht. Wenn ich in der Stadt mit Hitze und Versieglung zu tun habe, bestimmen in ländlichen Gemeinden vielleicht Hochwasser oder Biodiversität die Fragen. Anpassungen des Stadtklimas adressieren hier die spezifischen Fragen, die sich in urbanen Ballungszentren besonders abzeichnen.

Zur Arbeit und Forschung von Ben Pohl
Ben Pohl war unter anderem als Oberassistent an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (Studio Lead Newrope, D-ARCH) sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hafen City University in Hamburg (UD/UdN) tätig. Aktuell engagiert er sich mit dem B/IAS - Basel Insititut für angewandte Stadtforschung für transdisziplinären Wissenstransfer der gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung. Im Wintersemester 2025/2026 übernimmt er eine Vertretungsprofessur für „Urban Transformations“ am Institut für urbane Entwicklungen IuE der Universität Kassel.

Genereller kann man aber auch von Klimaanpassung und Klimaschutz sprechen und sollte dabei in jedem Fall die lokalen spezifischen Fragen und Ausgangsbedingungen betrachten. Hier kommt es eben auch auf das Erfahrungswissen und das situierte Wissen der Menschen, Dinge und Mitwesen (nicht-menschliche Wesen) an, die diese Situationen und Orte prägen. An vielen Orten, besonders auch im ländlichen Raum, gibt es zum Beispiel lokale historische Materialien und Bauweisen oder auch Kenntnisse, wo ich bauen kann und wo immer wieder Fluten gefährlich wurden. Dieses Wissen ist aber oft überschrieben, so dass zu nah an Bächen gebaut wurde, dass Gebäude statt aus lokalem Holz, Lehm und Stroh aus Beton, Aluminium und Kunststoffen sind. Ebenso kommen Pflanzen in Grünanlagen dann irgendwo her und sind nicht als lokale Artengemeinschaften verstanden, die mit den spezifischen Insektenarten eine Gesellschaft bilden.

In diesem Sinne kann man vielleicht auch von Wissen sprechen, dass eben nicht in Büchern und Daten gespeichert ist, sondern in den Orten, den Gebäuden, den Artengemeinschaften eingelagert ist. Dieses Wissen zu respektieren und sorgsam einzubeziehen, gerade weil es lokal spezifisch und nicht universell ist, bietet eine Chance. Das hat auch nichts mit Ökologieromantik zu tun, sondern mit der Suche nach veränderten Möglichkeiten.

Was macht Ihrer Meinung nach die Städte im Jahr 2050 aus? Und wenn Sie sich etwas wünschen dürften, wie sollten diese aussehen?

Die Städte und Regionen 2050 gibt es vielleicht nicht, es wird vermutlich massive Unterschiede geben: urbane Räume, in denen es ein neues Zusammenleben unter veränderten Klimabedingungen gibt; Räume, die auch „gelernt“ haben, neue soziale, ökologische, ökonomische, kulturelle und demokratische Strukturen zu bilden. Und es wird solche Räume geben, denen das weniger gut gelingt – auch in Europa.

Ich bin kein Orakel, aber wir sehen ja, dass die Ereignisse schneller sind als die Prognosen. Die Extreme werden in kürzerer Folge auftreten und es wird auch Menschen aus „westlichen“ Ländern geben, die aufgrund des Klimas fliehen.
Das, was sich abzeichnet, macht keine große Hoffnung, daher will ich das nicht weiter illustrieren. Ungeachtet dessen gibt es immer Chancen und aufzugeben ist keine Option.

Die Hygroskin von oben am Dreispitz. Foto: Daniela Valentini
Die Hygroskin von oben am Dreispitz. Foto: Daniela Valentini
Kleine Maßnahme, große Wirkung: die Hygroskin – hier am Basler Dreispitz-Gelände – kühlt die Temperatur der Umgebung sichtbar herunter. Foto: Jascha van Gogh
Kleine Maßnahme, große Wirkung: die Hygroskin – hier am Basler Dreispitz-Gelände – kühlt die Temperatur der Umgebung sichtbar herunter. Foto: Jascha van Gogh

Was ich für wichtig erachte, ist, dass wir schnell und situativ lernen, welchen Kulturwandel es braucht, um mit den zunehmenden Unbestimmtheiten umzugehen. Da geht es nicht um die großen universellen Lösungen oder neue Technologien. Es geht vielmehr um die Art und Weise, wie wir uns der Klimakrise in jeder Situation stellen.

Die Städte und Regionen, die am Ende des Jahrhunderts noch bewohnbar sein werden, werden das vermutlich nur über gemeinschaftliche Lernprozesse und Perspektivwechsel erreicht haben. Der Wissenschafts- und Techniksoziologe Bruno Latour zeichnet in einer seiner Lectures eine Analogie nach: Ein alter Fischer, dessen Boot im Malstrom, also in der Katastrophe untergeht, kann sich nur retten, weil er in der Situation erkennt und lernt, welche Dinge versinken und welche (ihn) vielleicht tragen. Er lernt also von Gewissheiten und Sicherheiten loszulassen, die Situation anzunehmen und genau zu beobachten, welche Chancen sich in der Katastrophe neu ergeben.

Vielleicht haben wir noch etwas Zeit, diese neue Beobachtungsfähigkeit einzuüben, um unsere Chancen besser zu nutzen.

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