Angeregte Diskussionen auf dem Baukultursymposium 2022 des LWL.
Angeregte Diskussionen auf dem Baukultursymposium 2022 des LWL. Foto: Martin Schmidt, LWL

Weniger Donuts, mehr Cocktails – Rückblick auf das Baukultursymposium 2022 des LWL

Mit dem Baukultursymposium „Ländliche Urbanität“ griff der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Anfang November das Thema des neuen Wohnens in Klein- und Mittelstädten in Westfalen-Lippe auf. Unser Autor Paul Andreas gibt einen Einblick.

Weniger Donuts, mehr Cocktails – Rückblick auf das Baukultursymposium 2022 des LWL

„Die ganze Welt spricht vom Prozess der Urbanisierung und dass in Zukunft die Hälfte der Menschen in Städten leben wird. Mein Interesse gilt der anderen Hälfte.“ So hat der finnische Architekt Sami Rintala (*1969) einmal seine „Land-Motivation“ beschrieben. Auch bei der Tagung „Ländliche Urbanität“, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Anfang November im LWL- Landesmuseum in Münster veranstaltete, ging es um das oftmals als „das Land“ oder „die Provinz“ etikettierte Andere der Großstadt und der Metropolräume – jenes hinsichtlich der Problemlagen und Zukunftsmöglichkeiten facettenreiche Spektrum von Dörfern, Klein- und Mittelstädten, in dem faktisch mehr als die Hälfte aller Menschen in Deutschland lebt, die meisten – statistisch gesehen –  davon auch ganz zufrieden. Die Zukunft dieser Siedlungsräume und die Planungsherausforderungen auf dem Weg dorthin wurden dabei anhand von aktuellen Beispielen aus Westfalen-Lippe diskutiert – einer Region, die das Thema gegenwärtig besonders auf dem Schirm hat: Bereits in diesem Sommer wurden die ersten Zwischenergebnisse der Regionale 2022 „UrbanLand“ in Ostwestfalen-Lippe präsentiert. Dabei wird eine nachhaltige Planung besonders durch eine stärkere Vernetzung von urbanen und ländlichen Räumen implementiert.

Prof. Joachim Schultz-Granberg mit der Einführung und Moderation des Baukultursymposiums. Foto: Martin Schmidt, LWL
Prof. Joachim Schultz-Granberg mit der Einführung und Moderation des Baukultursymposiums. Foto: Martin Schmidt, LWL

Auch Joachim Schultz-Granberg, mit einem gleichnamigen Architekturbüro in Berlin und einer Professur in Münster selbst ein Pendler zwischen eher ländlich geprägten und metropolitanen Welten, plädierte in seinem Einführungsvortrag dafür, den alten ideologischen Dualismus von Stadt und Land endgültig zu begraben. Vor allem müsse es in Zukunft darum gehen, die vorherrschenden Überschneidungen und Allianzen von urbanen und ländlichen Räumen weiter zu entwickeln und zu vertiefen – nicht zuletzt auch angesichts der großen gemeinsamen planetaren Herausforderungen des Klimawandels und des perspektivisch deutlich weiter zu reduzierenden Ressourcen- und Flächenverbrauchs. Ein löchrig gewordenes urbane Freiheitsversprechen (zu hohe Mieten, Wohnungsmangel, Pandemiestress, etc.) und die neue, zumindest branchenspezifisch garantierte Remote-Ortsunabhängigkeit des Arbeitsplatzes haben die Attraktivität ländlicher Räume in jüngster Zeit wieder gesteigert. Zugleich attestierte Schultz-Granberg dem Land eine immer noch weit verbreitete, ressourcenunkritische Siedlungspraxis: Dort, wo immer noch das neu errichtete, freistehende Fertighaus in Ortsrandlage – in der Wohnfläche oft überdimensioniert, den individuellen Bedürfnissen der Bauherr*innen auf lange Sicht selten entsprechend – dem umgebauten, vielleicht auch umgenutzten Altbestand im Ortskern vorgezogen wird, entstünden ausgehöhlte „Donut-Orte“, die weder identitätsstiftend noch nachhaltig sind. Mehr Umbau, mehr „Kern-Dichte“, mehr gemischte „Nutzungs-Cocktails“, mehr Zusammenhalt stiftende Gemeinschaftsorte und überhaupt mehr kommunalen Macher-Mut („Was wollen wir?“, und nicht „Was ist möglich?“) standen ganz oben auf Schultz-Granbergs Wunschliste für die ländlichen Räume.

Das anspruchsvolle Tapet für die Projekte aus Westfalen und Lippe war damit ausgerollt: In vier Themenblöcken und einem Abschlusspodium stellte ein bewusst gemischt aufgestelltes Vortragspersonal aus Architekt*innen und Planer*innen, aber auch Bürgermeister, Vertreter der Wohnungswirtschaft und Bewohner*innen großräumige Industrieareal-Konversionen, Umbauten und Nachverdichtungen von Bestandsbauten in Innenstadtkernen sowie stärker verdichtete und diversifizierten Wohnformen vor. Wobei sich dabei vor allem zwei Gedankenlinien auskristallisierten:

Das Einfamilienhaus erscheint – trotz einer jahrzehntelang währenden kritischen Fachdiskussion – noch immer als das typologische Äquivalent von ländlichem Wohnen. Wie sehr sich auch bei den oft am Ortsrand situierten Neubauvierteln am Ortsrand einhergehende Flächenverbrauch reduzieren lässt, zeigten Projekte aus Lippstadt und Heek: Durch geschickte Grenzbebauung (Auf dem Rode/ Lippstadt - Rinsdorf Ströcker Architekten, Lippstadt) oder durch modular entwickelte, hofartige Kompositionen (Studie Heek - Heimspiel Architekten, Münster) lässt sich sowohl eine höhere Dichte und Flächenausnutzung als auch mehr Quartiersgemeinschaft erreichen. Matthias Rottmann (De Zwarte Hond, Groningen/ Köln) ging dieses „Finetuning des Einfamilienhauses“ grundsätzlich nicht weit genug: Statt für weitere Einfamilienhäuser und -Quartiere plädierte er dafür, auch in ländlicheren Orten zukünftig deutlich stärker verdichtete Typologien zu etablieren. Als Argumentationsfolie diente ihm dabei die Rahmenplanung seines Büros für den „Wohnpark Egge“ in Altenbeken (ca. 9.000 Einwohner*innen):  Um einen Kasakadeneffekt bei den Einfamilienhäusern des Ortes zu erreichen – Ältere ziehen in Senioren-WGs und betreute Mehrfamilienhäuser, um jüngeren Familien Platz in ihren überdimensionierten, unterbelegten Einfamilienhäusern zu machen –  hat das Büro auf einer innerörtlichen Brache am Flusslauf der Egge ein Ensemble aus mehreren dreigeschossigen, scheunenartigen Großformen geplant, zwischen die sich  - eher ländlich-informell gehalten – halböffentliche Außenräume gruppieren, die von den Bewohner*innen in Eigenregie programmiert und gestaltet werden sollen. Die Erdgeschosszonen dieses „Landquartiers der Zukunft“ sollen durch öffentliche Nutzungen animiert werden – in den Etagen darüber befinden sich – je nach Haus – Senioren-WGs oder Mehrgenerationengemeinschaften. Für ältere Menschen, die die Qualitäten des Einfamilienhauses nicht missen wollen, sieht der Rahmenplan zudem eingeschossige Patio-Reihenhäuser vor, die das eigene Dach mit eigenem kleinen Außenraum ohne zu viel Gartenpflege verbinden. Man darf gespannt sein, wie am Ende tatsächlich die konkrete Umsetzung erfolgt - der Investorenwettbewerb soll im kommenden Jahr entschieden werden. Dass es nicht um ein pauschales „Einfamilienhaus-Bashing“ gehen darf, war auch den Teilnehmer*innen der anschließenden Podiumsdiskussion klar. Besetzt durch den Stadtplaner Prof. em. Rolf Westerheide (WIR, StadtplanerIn NRW), Sabine Djahanschah (Deutsche Bundesstiftung Umwelt) und Stefanie Lampe (Co-Kuratorin der DAM-Ausstellung „Schön hier. Architektur auf dem Land“). Die in Deutschland besonders stark verankerte Kultur eines „Hauses für das ganze Leben“ führt zwar im fortgeschrittenen Alter zu starken Unterbelegungen und mitunter auch Leerstand – das größte Hemmnis für ein stärker verdichtetes und flexibleres Wohnen sei aber doch vor allem in den oft veralteten, kontinuierlich fortgeschriebenen B-Plänen zu suchen, die in den Ortskernen oft dieselben geringen Geschosshöhen vorsehen wie an den Rändern. Besonders in Kombination mit der personellen Unterbesetzung der Ämter im ländlichen Raum begründe das eine schwierige Ausgangslage. Mehr verdichtete Wohnformen im Ortskern hätte sich das Podium auch vom Ko-Dorf in Erndtebrück (ca. 7.000 Einwohner*innen) gerne erwünscht, dessen ambitionierte, kurz vor dem B-Plan stehende Planungen Ortsbürgermeister Henning Gronau vorstellte: Die genossenschaftliche Tiny House-Siedlung, die rund um ein stillgelegtes, zukünftig als gemeinschaftlichen Co-Working-Space genutztes Sägewerk am Ortsrand der südwestfälischen Gemeinde liegt, soll insbesondere Kreativen aus der Großstadt einen zweiten (oder auch ersten) Lebens- und Arbeitsmittelpunkt auf dem Land ermöglichen – in guter Erreichbarkeit und mit Fast Internet.

Abschlussdiskussion mit Stefanie Lampe, Kuratorin DAM; Sabine Djahanschah, Deutsche Bundesstiftung Umwelt; Prof. Rolf Westerheide, WIR StadtplanerIn NRW / AKNW; Moderator Prof. Joachim Schultz-Granberg, Münster School of Architecture. Foto: Martin Schmidt, LWL
Abschlussdiskussion mit Stefanie Lampe, Kuratorin DAM; Sabine Djahanschah, Deutsche Bundesstiftung Umwelt; Prof. Rolf Westerheide, WIR StadtplanerIn NRW / AKNW; Moderator Prof. Joachim Schultz-Granberg, Münster School of Architecture. Foto: Martin Schmidt, LWL

Die zweite Gedankenlinie der Tagung bildete das Thema Konversion im klein- und mittelstädtischen Raum – vor allem auch im Hinblick darauf, unter welchen Prämissen aus dem städtebaulichen Rahmenplan eine adäquate Übersetzung in die Realität des B-Planes erfolgt. Dazu wurden eine Reihe von aktuellen Beispielen aus der Region präsentiert: ARQ Architekten Rintz und Quack präsentierten etwa die Transformation der Bielefelder Allanbrooke-Kaserne, deren denkmalgeschützter Exerzierplatz zu einer grünen Mitte verlängert und einem darum gruppierten lebendigen Mehrgenerationen-Quartier umgewidmet wird. Neben dem Rahmenplan entwickelte das Berliner Büro in enger Kooperation mit den Akteuren dazu die Übersetzungshilfe eines Quartiershandbuches, in dem die Essentials der Gestaltung, aber auch etwa das Energiekonzept festgeschrieben sind, um mehr Verbindlichkeit für die Umsetzung im B-Plan zu schaffen. Das Amsterdamer Büro B+B urbanism and landscape architecture vermisste eben diese Verbindlichkeit im Umgang mit seinen nachhaltigen, sowohl auf Klimaresilienz als auch historischer Spurensicherung gestützten Planungen für das KUBAII-Quartier in Bocholt (ca. 71.000 Einwohner*innen)  – einer innerstädtischen Brache, die von altem Textilindustrie-Gebäudebestand und dem Aa-Fluss dazwischen gezeichnet ist. Ein von der Kommune in Auftrag gegebenes, von B+B nach einem Werkstattverfahren erarbeitetes detailliertes Gestaltungshandbuch hatte am Ende - zum sichtlichen Kummer der Planer*innen – nur Empfehlungscharakter, so dass die nur langsam voranschreitenden Bebauungen und öffentlichen Außenräume in vielen Aspekten eine andere Gestalt angenommen haben. Um mehr Verbindlichkeit bemüht sind auch die ambitionierten Transformationspläne des Areals der früheren Homoet-Kornbrennerei im Altstadtzentrum von Telgte (ca. 20.000 Einwohner*innen), die Schnoklake Betz Dömer Architekten aus Münster vorstellten: Der als urbanes Gebiet ausgewiesene Standort schafft großzügigere Einzelhandelsflächen und darüber liegenden Wohnraum mit einem besonderen Fingerspitzengefühl für die Maßstäblichkeit der umliegenden historischen Altstadt. Entsprechend wurden nicht nur die Geschosshöhen, sondern auch die Formen der kleinteiligen Dachlandschaft, die Qualitäten der öffentlichen Räume bis hin zu gestalterischen Details wie Backsteinfassaden und Balkons akribisch geplant und in einem aufwendigen vorgezogenen B-Planverfahren festgeschrieben. So unterschiedlich die Gemeindegrößen und Problemlagen – in der Gesamtschau verbreiteten die präsentierten Projekte den hoffnungsvollen Eindruck, dass auch jenseits der Metropolen komplexere integrierte Planungen durchaus ihre Chance haben. Und am Ende der Tagung konnte man sich neben einer Förderungspolitik, die auch im ländlichen Raum wieder ganzheitlich Projekte (und nicht nur Einzelmaßnahmen) mit Zuwendungen bedenkt, nur noch mehr regionale Nachahmer wünschen.

Aufzeichnung auf You-Tube

Auf dem YouTube-Kanal des LWL gibt es einzelne Beiträge des Baukultursymposium 2022 „Ländliche Urbanität – Neues Wohnen in Klein- und Mittelstädten in Westfalen-Lippe“.

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