Bauen braucht Kultur

Gedanken zur Entwicklung der Baukultur im Land von Peter Köddermann, Geschäftsführer Programm von Baukultur Nordrhein-Westfalen.

Corona als Denkanstoß?

Es scheint, als bräuchte es manchmal einen Anlass, um bereit zu sein eine neue Perspektive einzunehmen. Die Corona-Pandemie mit ihren unsicheren Entwicklungen und Folgen ist ein solcher Anlass. Viel wird spekuliert, was die Verbreitung des Virus in der ganzen Welt alles ausgelöst hat und was es noch verändern wird. Das Spektrum reicht von Erwartungen an ein neues soziales Miteinander über eine gesteigerte gesellschaftliche Inwertsetzung bis hin zu Themen der Gesundheit, Gemeinschaft, Freiheit und Natur. Ganz zu schweigen von umfassenden wirtschaftlichen Szenarien in ihren globalen, nationalen und lokalen Zusammenhängen.

Schon lange wurde nicht mehr so intensiv über gesellschaftliche Zukunftsthemen debattiert, über Lebens- und Arbeitsbedingungen gesprochen wie aktuell. Die Diskussion berührt dabei auch Fragen der Raumentwicklung, die im Kontext der Pandemie eine neue Bedeutung erlangen. Die letzten Monate haben sehr eindrücklich gezeigt, wie fragil unser gesellschaftliches Miteinander ist und wie schnell sich unser Leben und unser Alltag verändern können. Die Pandemie ist damit auch ein Grund und eine Chance, sein Gewohntes in Frage zu stellen, Prozesse zu überprüfen und Lösungen für neue Herausforderungen zu entwickeln.

Räume für ein neues Denken

Auseinandersetzung mit dem eigenen Wohnraum: Wie soll sich der Stadtteil entwickeln? Foto: Claudia Dreyße
Auseinandersetzung mit dem eigenen Wohnraum: Wie soll sich der Stadtteil entwickeln? Foto: Claudia Dreyße

Das Nachdenken über gesellschaftliche Entwicklungen und über zukünftige Anforderungen ist seit jeher aufs engste mit räumlichen Fragen verknüpft worden. Hat nicht die Verlagerung zu home- und mobil-office in den letzten Wochen vielen Familien allzu deutlich gezeigt, welche Qualitäten der eigene Wohnraum bietet – und welche nicht? Die Corona-Pandemie hat bereits jetzt unseren Blick geschärft für neue Erwartungen und Ansätzen in der Wohn- und Lebensraumentwicklung. Sind die heutigen Wohnraumtypologien wirklich ausgerichtet auf ein zukünftiges zuhause Arbeiten? Sollten wir nicht gerade jetzt die Frage nach dem gesellschaftlichen Wert von Architektur neu stellen?

Gleicher Ansatz, neuer Bezugsraum: Was bedeutet eine engere Bindung zwischen Wohn- und Arbeitsort für die Raumentwicklung und die Planung und Gestaltung unserer Städte und deren Quartiere? Was für Aufenthaltsqualitäten, welche Infrastrukturen in Zentren und Peripherien brauchen wir in Zukunft?

Foto: Claudia Dreyße
Foto: Claudia Dreyße

Bereits dieser kleine Ausschnitt von Themenfeldern zeigt, wie vielschichtig und komplex die Herausforderungen sind, zu denen auch Stadt- und Landschaftsplanung und Architektur einen entscheidenden Beitrag leisten können und müssen. Dabei geht es nicht nur um funktionale und ökonomische Lösungen, sondern auch um soziale Qualitäten, die von Werten und Haltungen getragen werden – es geht um Baukultur. Die Baukultur weitet den Blick auf die Herausforderungen von heute für morgen.

Baukultur als Chance

Bis heute gibt es keine verbindliche Definition des Begriffs Baukultur, vielleicht wird es sie auch nicht geben. Denn Baukultur ist durch alle Zeiten hinweg etwas anderes gewesen. Wie jede Kultur ist auch Baukultur der Spiegel einer gesellschaftlichen Verhandlung über Werte und Haltungen. Der heutige Fokus baukultureller Aufgaben lässt sich wie folgt festhalten: Baukultur setzt sich mit der Qualifizierung des Bauens und mit der Wertschätzung des Gebauten auseinander. Im Mittelpunkt steht das Anliegen, Architektur, Stadt- und Raumgestaltung mit gesellschaftlichem, ökologischem und sozialem Nutzen zu verknüpfen.

Wandelnde Wertschätzung

Baukultur geht dabei immer mit einem Qualitätsanspruch und dem Bewusstsein um, dass unsere gebaute Umwelt stets eine gesellschaftliche Dimension besitzen muss. Ein gesellschaftlicher Wert verändert sich jedoch fortlaufend mit den Wandlungsprozessen der Gesellschaft selbst. Somit ändern sich auch baukulturelle Wertschätzung und Ansprüche. Vor diesem Hintergrund bekommen nachfolgende Fragen eine klare baukulturelle Bedeutung: Was sollen oder müssen unsere Städte zukünftig leisten? Welche Antworten bietet die Architektur, um neuen Raumansprüche gerecht zu werden? Was bedeutet Partizipation in Planungsprozessen?

In diesem Sinne leistet Baukultur einen eigenständigen Beitrag zur Entwicklung und Vermittlung. Und sie ist immer Teil von qualitätvoller Architektur, als ihr natürlicher Partner. Ihr Angebot und ihr Alleinstellungsmerkmal rekrutierten sich aus dem Anspruch, Impulse in die Fachwelt zu geben und gleichzeitig Architektur in ihrer gesellschaftlichen Relevanz aufzuzeigen. Mit diesem Anspruch besteht ein großer Anteil baukultureller Arbeit darin, moderierend tätig zu sein zwischen den Akteuren des Bauens und der Gesellschaft als Nutzer.

Welche Rolle kann Baukultur aktuell spielen?

Das Corona-Virus hat neben vielen medizinischen auch sehr grundsätzliche wirtschaftliche Probleme in kürzester Zeit verursacht. Die Lösung dieser Probleme wird die Gesellschaft noch lange beschäftigen. Dabei ist zu hoffen, dass die wirtschaftliche Dimension nicht ausschließlich, sondern die Gesamtheit der komplexen Herausforderungen für die Gesellschaft im Blickfeld steht.

Dies gilt im Besonderen für die vielfältigen Herausforderungen in Architektur, Stadtplanung und Baukultur in Nordrhein-Westfalen. Das zarte Pflänzchen eines wachsenden Interesses an öffentlicher Beteiligung oder an Partizipationsprozessen, das Ringen um qualitätsvolle architektonische Lösungen zwischen Architekten und Planern, Bauherrn und Nutzern – welches in den letzten Jahren spürbar wuchs – sollte nicht aus scheinbaren und sehr kurz gedachten ökonomischen Zwängen zum schnellen Opfer der Pandemie werden. Denn von dieser Auseinandersetzung haben bis dato alle am Bauen beteiligten Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft profitieren können. Und nicht nur die aktuelle Situation, sondern auch die – zurzeit in den Hintergrund gerückte – notwendige Realisierung eines neuen Umgangs mit den klimabedingten Folgen, erfordert die Baukunst in all ihren Bedeutungszusammenhängen weiterhin als aktive Gestalterin, die gesellschaftliche Debatten wertschätzt.

Bezahlbares Wohnen

Gute Beispiele für neue und bezahlbare Möglichkeiten des Wohnungsbaus – auch für die Baukultur – zeigte die Ausstellung „Alle wollen wohnen“ Foto: Claudia Dreyße
Gute Beispiele für neue und bezahlbare Möglichkeiten des Wohnungsbaus – auch für die Baukultur – zeigte die Ausstellung „Alle wollen wohnen“ Foto: Claudia Dreyße

Als ein relevanter Wirtschaftsfaktor und maßgeblicher CO2 Produzent ist der Bausektor, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, bereits heute ein bedeutender Akteur mit großem Potenzial – sowohl was Aufgaben als auch Chancen betrifft. Trotz des shutdown wird gebaut und neuer Wohnraum entsteht. Bauaufgaben, wie zum Beispiel der bezahlbare Wohnungsbau in vielen Städten sind andauernde Herausforderungen und gebaut wird weiterhin in vielen unterschiedlichen Qualitäten.

Die mangelnde Diskussion hierüber und eine fehlende baukulturelle Beschäftigung von allen Beteiligten würde sich fatal auf die Qualität des Bauens auswirken. Bereits heute existieren Stadträume und Architekturen, die nach dem Kriterium der gesellschaftlichen Ansprüche fragwürdig und eher auf kurzfristig orientierte ökonomische Effekte ausgerichtet scheinen. Auch diese Beispiele sind ein Plädoyer dafür, neu und anders zu denken. Und sie sind Chance, Bauen wieder stärker als Kultur zu verstehen – als Baukultur.

Die neue Adresse für Baukultur

Baukultur Nordrhein-Westfalen entstand zu Beginn des Jahres 2020 aus der Zusammenlegung der Vereine StadtBauKultur NRW und Museum für Architektur und Ingenieurkunst. Unser erklärtes Ziel ist es, Baukultur in und aus Nordrhein-Westfalen eine Adresse zu geben. Nur so können wir noch fokussierter zentrale baukulturelle Themen besetzten und etablieren. Dies kann nur in einer engen Partnerschaft mit allen Akteuren des Bauens und des Gebauten in Nordrhein-Westfalen gelingen. Deshalb agieren wir als Netzwerker, führen Menschen, Interessen und Aktivitäten zusammen, suchen das Gespräch mit Architektinnen und Architekten, mit Bauherren und Bauherrinnen und nicht zuletzt den Nutzern und Nutzerinnen.

Architektenkammer als Partner

Modul der Architektenkammer zur Urbanen Dichte im Rahmen der Ausstellung „Alle wollen wohnen“ des M:AI NRW. Foto: Claudia Dreyße
Modul der Architektenkammer zur Urbanen Dichte im Rahmen der Ausstellung „Alle wollen wohnen“ des M:AI NRW. Foto: Claudia Dreyße

Ein natürlicher Partner für Baukultur Nordrhein-Westfalen ist die Architektenkammer NRW. Auf Basis einer bereits langjährigen Zusammenarbeit in vielerlei Formaten und Projekten werden wir auch in Zukunft gemeinsam über architektonische Qualitäten in Prozessen und Resultaten sowie über gesellschaftliche Erwartungen und Aufträge in einem baukulturellen Sinn sprechen. In Ausstellungen,  Veranstaltungen, Kampagnen und Publikationen werden wir unser gemeinsames Anliegen – die Baukultur –fördern.

Qualitätvolle Architektur ist in der Zukunft nicht ohne eine bedeutend engere Verbindung zur Baukultur zu denken. Nimmt man sie ernst, dann bedeutet dies häufiger als bisher für neue Qualitäten in Planung, Bauen und Entwicklung offen zu sein oder diese zu gestalten zu wollen. Dies heißt, sich mit den aktuellen gesellschaftlichen Erwartungen weitaus intensiver auseinander setzen und sich mit veränderter Wertschätzung des Gebauten immer wieder neu zu befassen. Denkanstöße werden wir in Zukunft hierzu viele aufzeigen. Es braucht Baukultur auch oder gerade in diesen Zeiten. Denn letztendlich muss es so lauten: Bauen ist Kultur.

 

Hinweis: Der Beitrag erschien ursprünglich in der Mai-Ausgabe des Deutschen Architektenblatts und am 14. Mai auf der Website der Architektenkammer NRW. Für das Blog von Baukultur Nordrhein-Westfalen wurde der Text geringfügig überarbeitet.

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