01.07.2024
Der Wert der Baustoffe
Im Sommersemester 2024 sind Bauingenieurstudierende der FH Münster mit dem IWARU-Institut im UmBauLabor. Sie dokumentieren die verbauten Bauteile und Materialien und werten die Ergebnisse in einer Ökobilanz aus.
„Wir verstehen den gebauten Bestand als Ressource“, erklärt Professor Achim Pfeiffer seinen Studierenden zu Beginn des Seminars. „Den baulichen Bestand als Ressource wahrzunehmen, heißt, ihn über seine baukulturelle Bedeutung hinaus als gespeicherte Energie, verwertbares Material, Träger von Informationen oder Baurecht zu erkennen und zu bewerten.“
Das Seminar „Bauen im Bestand“ von Achim Pfeiffer bietet den Studierenden der Hochschule Bochum einen Einblick in die Anforderungen und Herausforderungen beim Planen bestehender Bausubstanz. Im UmBauLabor von Baukultur NRW in Gelsenkirchen-Ückendorf hatten die Studierenden im Wintersemester 2023/2024 die Gelegenheit, die Bausubstanz des 122 Jahre alten Gebäudes in der Bergmannstraße 23 zu untersuchen und zu erleben – auf 421 Quadratmetern Grundstücksfläche und 638 Quadratmetern Geschossfläche. Durch die Bestandsanalyse vor Ort und das Prüfen der alten Bauakte, erhielten die Studierenden ein Verständnis für das Gebäude und den Umgang mit Bestandsbauten.
Dafür arbeiteten die Studierenden in verschiedene Gruppen. Jede Gruppe bekam unterschiedliche Bauteile des Hauses, die sie analysiert und skizziert haben. Einige Studierende haben Wände und Geschossdecken geöffnet, während andere eine Liste von Türen und Fenstern mit Aufmaß und Mängelsachstand erstellten. Dabei wurde deutlich, dass die Grundstruktur des Gebäudes eine für das Baujahr 1902 typische Bauweise aufweist. Die Innenwände wurden als Holzständerwerk errichtet, in den Holzbalkendecken haben die Studierenden Schlacke und Lehm gefunden, die früher oft als Dämmmaterial in Gebäuden verbaut wurden. Die Außenwand besteht aus einer massiven Ziegelfassade, die als Deckenauflager der Holzbalken dient.
Deutlich erkennbar sind die verschiedenen Transformationsprozesse des Gebäudes. Eine Studentin, die sich mit der Außenwand beschäftigt hat, spricht über die Vielschichtigkeit der verwendeten Materialien. Mit viel Fingerspitzengefühl kratzte sie zusammen mit ihrer Gruppe drei unterschiedliche Tapetenschichten und mehrere Lagen von Wandfarbe ab. „Wir haben dadurch über die Geschichte des Hauses lernen können. Nachdem wir mit viel Kraft den Putz abgeschlagen haben, konnte man die Zeitschichten des Gebäudes klar ablesen,“ schreibt sie in das „UmBauTagebuch“, das jede Gruppe im UmBauLabor ausfüllt, um die Arbeitsprozesse zu dokumentieren.
Im Obergeschoss des Gebäudes fielen den Studierenden direkt die Schieflage und die verschiedenen Höhenversprünge der einzelnen Räume ins Auge. Ihre Analyse des Bodens zeigt: Die alten Holzdielen wurden mit Aufbauten und teilweise mehreren Schichten PVC-Bodenbelag überdeckt. Von der alten Bausubstanz wurde nur wenig weggenommen, stattdessen wurde Neues in die bestehende Struktur hinzugefügt.
Auch im Hof des UmBauLabors erkannten die Studierenden den Transformationsprozess des Gebäudes deutlich. Ursprünglich gehörten die Räume im Erdgeschoss einer Fleischerei. Später baute sich dort ein Autohändler eine Rampe, um das höhere Niveau mit den Autos zu erreichen. Die Fleischerhaken und die Waage wurden nicht zurückgebaut und erinnern noch heute an die ursprüngliche Nutzung. Das Gebäude passte sich den Anforderungen seiner Bewohner*innen an und erhielt dadurch einen besonderen Charakter.
Basierend auf diesem Wissen entwickelten die Studierenden Entwürfe für neue Wohnformen. Es entstand eine spannende Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von alt und neu, Innovation und Tradition, Vergangenheit und Zukunft. Einige Entwürfe bauten auf die Holzträgerwände und Holzbalkendecken auf. Die Tragstruktur wurde unverändert als Skelett stehengelassen, neue boxenartige Elemente hinzugefügt. So enwickelten z.B. sich komplett neue Räume, die auch die Schieflage des Gebäudes ausglichen.
„Darf ich noch etwas bleiben?“ wurde eine andere studentische Arbeit betitelt, die weniger radikal in die vorhandene Raumstruktur eingriff. Durch eine spielerische Herangehensweise integrierte die Studentin neue Baumaterialien in die bestehende Struktur. Andere Studierenden beschäftigten sich mit neuen Wohnformen und konzipierten gemeinschaftlich genutzte Bereiche ähnlich einer Wohngemeinschaft. Ein Student widmete sich zum Beispiel dem Thema Wohnraum für Obdachlose.
Das Seminar „Bauen im Bestand“ beweist, wie bedeutend die fachliche Wissensvermittlung im Umgang mit dem Bestand ist. Im UmBauLabor von Baukultur NRW konnten die Studierenden lernen, wie wichtig es ist, auch hinter die Schichten des Bestehenden zu schauen und sich nicht vom ersten Eindruck täuschen zu lassen. Hinter den Wänden und Böden verbergen sich oftmals viele Chancen für Neues und machen eine Wertschätzung des Alten möglich. Das Erkennen dieser Potenziale ist ein wichtiger Schritt für eine nachhaltige, klimagerechte Baukultur.
Auch die Studierenden der TU Dortmund waren im Wintersemester 2023/2024 zu Gast im UmBauLabor. Hier geht es zu ihren Ergebnissen.
Die Arbeiten der Studierenden sind bis zum 25. April 2024 donnerstags von 16 bis 19.30 Uhr im UmBauLabor, Bergmannstraße 23 in Gelsenkirchen-Ückendorf, ausgestellt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Führungen durch die Obergeschosse des Gebäudes sind auf Anfrage möglich.