Einem die Brücke treten. Ein kurzer Streifzug durch die Kultur der Brücken
Brücken sind mehr als nur ein Teil unserer Infrastruktur und mehr als eine funktionale Verbindung. Sie sind auch: Symbole und Metaphern. Ein (unvollständiger) Blick auf die Kultur der Brücken (Teil 5 der Serie).
Staunend stehen wir auf Brücken oder vor ihnen. Vielleicht sind wir verzaubert, vielleicht auch ehrfürchtig gebannt von diesen im wahrsten Sinne des Wortes herausragenden Bauwerken. Und doch gibt es noch eine andere Ebene als die der Ingenieurbaukunst, denn Brücken sind kulturelle Symbole.
Verbinden und Trennen manifestiert sich in ihnen. Brücken erschließen neue Räume, im geografischen wie übertragenen Sinne, sie ermöglichen Austausch und Handel. Darüber hinaus sind Brücken auch Zwischenräume und Schwellen des Übergangs. Im Sinne eines Uferwechsels bieten die Bauwerke die Gelegenheit, die Perspektive zu wechseln und einen neuen Blickwinkel einzunehmen.
Menschen bauen Wege und Verbindungen
Als Teil des Wege-, Straßen- und letztlich Verkehrsnetzes spielen Brücken eine besondere Rolle. „Der Wegebau ist sozusagen eine spezifisch menschliche Leistung“, schreibt der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel in dem Essay „Brücke und Tür“ (1909). Er sieht auch Tiere in der Lage, etwas zu überwinden und Wege zu bauen, ordnet diese Fähigkeit aber qualitativ der des Menschen unter. Simmel stellt darüber hinaus fest: „Im Bau der Brücke gewinnt diese Leistung ihren Höhepunkt.“ Hier wird das Bauwerk gar zum anthropologischen Ausdruck des Menschen.
Populäres Motiv in Künsten und Kulturen
Dieses Widerlager im Anthropologischen macht Brücken populär. So sehr, dass sie offensichtliches Motiv sind in vielen Spielarten und Genres der europäischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. In der Malerei ist sie sogar titelgebend für die expressionistische Künstlergruppe „Die Brücke“, die den Perspektivwechsel und den Aufbruch zu neuen Ufern in sich trägt. Als wiederkehrender Gegenstand taucht sie in den Werken Claude Monets auf. Und der Maler Lyonel Feininger zum Beispiel zählte Brücken zu seinen Lieblingsobjekten.
Aber auch jenseits von Europa spielen Brücken eine wichtige Rolle in der Kunst, sind sie doch fester Bestandteil in der asiatischen und ostasiatischen Kultur, genauer gesagt in der chinesischen und japanischen Landschaftsmalerei. (In den japanischen Haikus gehören sie ebenfalls oft zur Szenerie.)
Brücken sind einerseits ein ländliches Thema, andererseits im Zuge der Industrialisierung auch ein zunehmend städtisch-urbanes. So stellen sie in Märchen oft einen Schauplatz des Geschehens dar und sind dort eher situativ eingesetzt. Bekannt sind zum Beispiel die Figuren Max und Moritz, die "(...) voller Tücke, In die Brücke eine Lücke" sägen. In der Figur des Brückentrolls tauchen sie in Sagen auf. Darin bewacht der Troll den Übergang: Nur gegen eine Zollabgabe räumt den Weg frei. Oder es hilft eine List… Hier wird deutlich, wie sehr die Brücke im (mythischen) Volksglauben verankert ist.
Über den Einsatz als Situation oder Szenerie hinaus geht etwa Theodor Fontane. In seiner Ballade "Die Brück’ am Tay" (1879) setzt er sich kritisch mit dem menschlichen Glauben an Fortschritt und Technik auseinander. Das Bauwerk fungiert in diesem Gedicht einerseits als Zeugnis des Glaubens in diese neuen Technik, in neue Materialien und Baustoffe, die während der industriellen Revolution entdeckt und entwickelt worden sind. Andererseits verarbeitet Fontane darin den Zugunfall, als der Zug aus Edingburgh Fluss stürzte, weil der Mittelteil der Brücke zusammenbrach, wie das Foto der Library of Scotland zeigt.
Die Auseinandersetzung mit Brücken bleibt aber nicht auf die traditionellen Kunstformen beschränkt, vielmehr sind diese Ausgangspunkt - als Motiv verbreiten sie sich weit darüber hinaus. Erst recht als der Brückenbau im 19. Jahrhundert Fahrt aufnimmt und die Konstruktionen alltäglicher erscheinen.
Brücken sehen und hören
Auch in der Popkultur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind Brücken nicht zu übersehen und nicht zu überhören. Schnell stößt man auf das Motiv – ob direkt im Titel oder, weil sie in der Handlung eine Rolle spielt. Namengebende Beispiele sind die Filme „Brücke am Kwai“ (David Lean, 1957) oder „Die Brücke von Remagen“ (John Guillermin, 1969), in der Popmusik: “Bridge Over Troubled Water” (Simon & Garfunkel, 1970), „Über sieben Brücken mußt du gehen“ (Karat, 1978) oder “Under The Bridge” (Red Hot Chili Peppers, 1991).
In den genannten Filmen spielt die Brücke vorrangig eine strategische und militärische Rolle und ist wichtig für die Bewegungen von Mensch und Maschine. Darüber hinaus wird sie am Beispiel „Der Brücke am Kwai“ aber auch zum Symbol des Widerstands und des Humanismus. Hier ein kurzer Ausschnitt:
In den Songs wird die Brücke als Beschreibung eingesetzt, etwa für einen Ort oder einen Übergang. Simon & Garfunkel setzen sie als Vergleich ein: Das lyrische Ich ist der Garant für Schutz:
Like a bridge over troubled water, I will lay me down
Konstruieren, dekonstruieren - über Brücken sprechen
Deutlich wird an der Symbolik in Film und Musik, dass Brücken eng mit Sprache verbunden sind. Wie tief sie kulturell verwurzelt sind, zeigt ein Blick auf die deutsche Wortbedeutung. Das Wort Brücke bezeichnet ein „über einen Wasserlauf oder einen Einschnitt im Gelände führendes Bauwerk“ ("Etymologisches Wörterbuch des Deutschen", S. 174, München 1997) und stammt aus althochdeutschen brugga (Brücke, Bretterboden) aus dem 8. Jahrhundert.
Entsprechend geläufig sind Redewendungen. Ob nun der Papst als oberster „Brückenbauer“ Pontifex Maximus genannt wird (abgeleitete von dem lateinischen pons – Brücke) oder ob die Phrase „unter der Brücke schlafen“ Menschen ohne Obdach meint, Brücken sind selbstverständlicher Teil unserer Sprache im direkten wie übertragenen Sinn. So ist von „überbrücken“ die Rede, wenn man eine Übergangslösung braucht. „Er baut einem andern eine Brücke“ ist daran anschließend eine ebenfalls sehr oft genutzte Wendung und bedeutet: Er kommt dem anderen entgegen, unterstützt ihn und hilft. Und wer gedanklich eine Brücke schlägt, verbindet Ideen miteinander.
Anders herum geht es natürlich auch, indem man „die Brücken abbricht“ und alle bisherigen Verbindungen kappt – persönlich und emotional, sozial oder auch kommunikativ-technisch. Wer die Brücke abbricht, lässt die Vergangenheit hinter sich und fängt neu an.
Von der Brücke zum Burgfrieden
Das alles ist so bekannt wie selbstverständlich – Brücken sind fester Teil unseres Sprachgebrauchs. Interessant wird es bei unbekannteren, älteren Redewendungen, die sich uns heute nicht sofort erschließen. Was meint der Ausdruck „Einem die Brücke treten“? Es ist das Angebot, jemandem Hilfe zukommen zu lassen. Genauer gesagt: Einem Menschen, der bedrängt oder verfolgt wird, Schutz zu gewähren und zu seinen Gunsten zu handeln.
Diese Redewendung führt zurück auf die Fall- oder Zugbrücke. Nach Lutz Röhrich ("Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten", Band 1, S. 267, 1994) lag Brücke so berechnet im Gleichgewicht, dass ein nur geringer Kraftaufwand ausreichte, um sie zu bewegen. Mit einem Tritt auf das Gegengewicht oder die Brücke selbst konnte der Wächter an der Brücke und dem Burg- oder Stadttor, dem Bedrängten die Brücke herablassen und damit Eingang und Sicherheit in die Burg (Burgfrieden) verschaffen.
Faszination der Brücken
An diesem Beispiel verbindet sich eindrücklich die bauliche Bedeutung von Brücken mit der kulturhistorischen. Ihre alltägliche und unmittelbare Funktion im Leben der Menschen spielte (und spielt heute noch) eine wichtige Rolle. Das führt uns zur Frage: Warum faszinieren uns Brücken so sehr? Und warum haben sie sich so in unsere Kultur eingeprägt?
Zunächst einmal sind Brücken funktionale Zeichen, durch ihre Größe und Architektur von weither sichtbar und erkennbar. Sie heben sich von der Landschaft ab, erscheinen als Landmarke, sind ein topografisches Objekt. Dadurch bieten sie dem Menschen Orientierung. Außerdem sind sie inzwischen nicht nur Gegenstand von Ingenieuren, auch Künstler setzen sich mit den Bauwerken (und nicht nur als Motiv) auseinander. Wie zum Beispiel die Brücke „Slinky Springs To Fame“ des Frankfurter Künstlers Tobias Rehberger im Kaisergarten in Oberhausen (siehe Titelfoto), die selbst zu Kunst wird.
In der Diskussion über Brücken taucht ein Thema immer wieder auf: Verbinden sie Landschaftsräume oder zerstören sie Landschaft, bleiben Bauwerk und Natur getrennt? Aus diesen gegensätzlichen Positionen formiert sich eine Art dritter Weg: Danach gelingt es den Ingenieuren, die Brücken mit der Landschaft zu verbinden - unter Berücksichtigung von Material, Technik, Form, Lage- und Raumsituation, des Geländes sowie Bewuchs und Gewässers.
Durch den Raum ausbreiten
Ein weiterer Grund für die Anziehungskraft liegt in den Brücken der Superlative, die Ingenieure heutzutage errichten. Mittels der Nutzung der Statik, computerberechneten Modellen, der Entwicklungen von leistungsfähigeren Materialien sind Konstruktionen möglich, die den Betrachtern manchmal fast unmöglich erscheinen: Die neuesten Brücken brechen weltweit Rekorde für Spannweiten, Längen und Höhen.
Neben der zunehmenden herausragenden Sichtbarkeit von Brücken, die im 20. und 21. Jahrhundert in signature bridges bestimmter Ingenieure mündete, begründet sich ihre Wirkung sicherlich auch noch in etwas anderem. Der Mensch trotzt durch sie und mit ihnen tiefen Abgründen und reißenden Flüssen, er verkürzt Wege, verändert Landschaft und schafft sogar neue Landschaftsräume. Mit Rückgriff auf Georg Simmel „symbolisiert die Brücke die Ausbreitung unserer Willenssphäre über den Raum".
Die Multihalle in Mannheim ist derzeit Thema einer fotografischen Ausstellung. Ursula Kleefisch-Jobst blickt auf die Idee, Technik und das Modell dieses bemerkenswerten Bauwerks.
Visionäre und Alltagshelden – von wem ist hier die Rede? Von Menschen mit vorausschauenden und kühnen Ideen, deren Arbeit spektakulär ist, die unseren Alltag maßgeblich erleichtert und die dennoch oft nicht auffällt: Ingenieuren.
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