Eine städtische Fläche mit Staudenbeet der Initiative „Kerpen blüht auf“ für mehr Artenvielfalt. Ein spezielles Programm kombiniert einen anderen Umgang und eine andere Pflege mit den Grünflächen.
Eine städtische Fläche mit Staudenbeet der Initiative „Kerpen blüht auf“ für mehr Artenvielfalt. Ein spezielles Programm kombiniert einen anderen Umgang und eine andere Pflege mit den Grünflächen. Foto: Ingrid Nelsen

Kerpen blüht auf

Der drastische Rückgang der Insektenvielfalt besorgt Naturschutzverbände und Teile der Bevölkerung in Deutschland. Die Stadt Kerpen wirkt dieser Entwicklung seit 2017 entgegen, indem sie Grünflächen als neue natürliche Lebensräume für Insekten herrichtet.

Grünflächen können auch bunt sein

Das Wissen über Artensterben ist mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen; das tatsächliche Handeln fällt jedoch vielfach hinten über. Mit der Initiative „Kerpen blüht auf“ wagt die Stadt Kerpen seit 2017 in Kooperation mit dem BUND Kerpen und mit finanzieller Unterstützung durch die Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW (SUE NRW) Neues und hat sich zum Ziel gesetzt, die städtischen Grünanlagen zu neuen Zentren der Artenvielfalt zu entwickeln. Dabei sollen Bereiche entstehen, die nachhaltig, optisch ansprechend und ökologisch sinnvoll für Insekten, Tiere und Menschen sind.

Insekten und Vögel zunehmend gefährdet

Die Insektenvielfalt ist in Deutschland seit Jahrzehnten rückläufig. Doch das scheint nicht genug, denn auch Vögel, Fledermäuse und weitere insektenfressende Tiere sind direkt von dieser Entwicklung bedroht. Eine Langzeitstudie des Vereins für Insektenkunde geht von einem Rückgang der Insektenvielfalt um 75 Prozent innerhalb der vergangenen 30 Jahre aus. Und auch die Bestände der Vögel haben in der Agrarlandschaft um 30 Prozent abgenommen.

Die Gründe hierfür sind weitreichend. Vor allem die intensive Landwirtschaft unter Einsatz von Dünger, Pestiziden und Fungiziden scheint hierbei eine große Rolle zu spielen. Zudem werden die landwirtschaftlichen Flächen mit einer immer geringeren Vielfalt an Pflanzen und in immer dichter aufeinanderfolgenden Zeiträumen bepflanzt: Mais, Weizen und Raps sind mittlerweile fast überall zu finden. Aber nicht nur die Landwirtschaft ist für die Gefährdung der Arten verantwortlich. Auch eine dichte Bebauung mit hoher Flächenversiegelung, Waldrodungen, Umweltverschmutzung und der Klimawandel tragen direkt hierzu bei.

Potenzial in der Innenstadt

Die Beteiligten sind sich einig: Auch der innerstädtische Bereich birgt als Lebensraum für Insekten und Vögel enormes Potenzial. Da die Grünpflege üblicherweise dem Ordnungssinn der Bewohner*innen entsprechen soll, nicht teuer und nicht zeitaufwendig sein darf, weisen städtische Grünflächen oftmals eine besonders geringe Artenvielfalt auf. Diese Art der Pflege bringt auf lange Sicht jedoch keinen ökologischen Mehrwert. Fortan richtet die Stadt Kerpen ihre Grünplanung neu aus und stellt die Ansprüche von Insekten, Vögeln und anderen Lebewesen in den Mittelpunkt. Das Ziel dabei ist es, die Insektenvielfalt wiederzubeleben und somit Tieren und Pflanzen das Überleben zu sichern.

Neueinsaat und Umwandlung von Rasen- in Wiesenfläche

Die Umsetzung erfolgt in zwei Varianten: Einerseits werden in ausgewählten Bereichen neue Saatbeete angelegt, die Bodenschicht aufgelockert und diese schließlich mit Wildpflanzen aufgefüllt, dabei handelt es sich um eine sogenannte „Neueinsaat“.

Mehr Lebensraum für Insekten auf einer städtischen Fläche der Initiative „Kerpen blüht auf“ für mehr Artenvielfalt. Foto: Ingrid Nelsen
Mehr Lebensraum für Insekten auf einer städtischen Fläche der Initiative „Kerpen blüht auf“ für mehr Artenvielfalt. Foto: Ingrid Nelsen

Es werden vor allem heimische Pflanzen wie Narzissen, Krokusse oder Zierlauch verwendet, denn diese sind nachhaltig, ökologisch sinnvoll, kostengünstig und pflegeleicht zugleich. Gerade im Frühjahr ergibt sich hieraus auch eine sehr attraktive Blütenpracht.

Andererseits sollen ökologisch wenig sinnvolle Rasenflächen in wertvolle Wiesenflächen umgewandelt werden. Zahlreiche Insekten finden ihren idealen Lebensraum nun zwischen verschiedenen Gräsern, Brennnesseln oder weiteren naturnahen Pflanzen. Die Strategie hierzu ist eine angepasste Grünpflege. Nach der Mahd verbleibt der Grünschnitt vorerst einige Tage auf der Fläche, so dass die Insekten die Möglichkeit bekommen, weiterhin dort zu nisten.

Handelt es sich um einen großflächigeren Bereich, wird eine sogenannte Mosaikmahd angewandt: Teile der Wiese bleiben längere Zeit bestehen, so dass den Insekten weiterhin ein Rückzugsraum bleibt, um ihren gesamten Lebenszyklus zu durchlaufen. Und auch die Geräte und Maschinen werden an die Entwicklung der Insekten angepasst. So werden von nun an spezielle Mähmaschinen verwendet, die einen Großteil der Wiesenbewohner*innen schützen.

Teile der Wiese werden nicht gemäht und bieten so Insekten Lebensräume. Foto: Ingrid Nelsen
Teile der Wiese werden nicht gemäht und bieten so Insekten Lebensräume. Foto: Ingrid Nelsen

Nachahmen erwünscht

Da die Umsetzung allerdings nicht in einem Schritt stattfinden kann, werden jährlich neue Flächen in unterschiedlichen Bereichen der Stadt ausgewiesen. Obwohl ein solch ambitioniertes Projekt Zeit benötigt, bis es seine volle Wirkung entfalten kann, ist bereits jetzt eine größere Insektenvielfalt auf den umgewandelten Flächen zu erkennen.

Die Flächen wurden dabei gezielt so ausgewählt, dass diese nicht in Konkurrenz zu weiteren Freizeitaktivitäten der Bewohner*innen stehen. Gleichzeitig sollen die Flächen aber innerhalb des Stadtgebiets auffallen, denn vor allem hierdurch würde ein Bewusstsein für Artenvielfalt geschaffen. Denn die Vielfalt der städtischen Grünflächen soll gleichwohl eine Anregung für die Kerpener Bevölkerung sein, eine insektenfreundliche Gestaltung auch im privaten Garten umzusetzen. Regelmäßige Vorträge, Führungen und Workshops sowie an den umgewandelten Flächen aufgestellte Infoschilder sollen die Bewohner*innen hierzu sensibilisieren.

Dies scheint auch zu funktionieren, jedenfalls sind die Rückmeldungen aus der Bevölkerung überwiegend positiv. Die Vermittlung neuer Denkanstöße funktioniert, auch über die Stadtgrenzen hinaus besteht weiterhin Interesse, sodass ein Erfahrungsaustausch stattfinden kann.

 

Das Projekt

Ort: Kerpen

Auftraggeber: Stadt Kerpen in Kooperation mit dem BUND Kerpen, gefördert durch die Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW (SUE NRW)

Realisierung: ab Winter 2017

Fläche: Umsetzung seit 2017 auf 26 offiziell ausgewiesenen Flächen im Stadtgebiet

Projektflyer „Kerpen blüht auf“

Projektbericht 2018–2020 „Kerpen blüht auf“

Ihre Kontakte für diesen Bereich

Fenna Tinnefeld

Fenna Tinnefeld
Redaktion Best-Practice-Projekte Grüne Städte und Regionen

T 0209 402441-21
Annika Stremmer

Annika Stremmer
Redaktion Best-Practice-Projekte Grüne Städte und Regionen

T 0209 402 441-28
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