Interventionen als Schnittstelle zwischen Architektur und Gesellschaft

Im Interview mit Florian Kluge und Daniel Lohmann geht es um Interventionen als Teil einer Phase Null. Die beiden Architekturprofessoren der Alanus-Hochschule in Alfter und der TH Köln sehen die Intervention als Schnittstelle zwischen Architektur und Gesellschaft.

„Ich gehe in den öffentlichen Raum, verändere ihn und schaue, was passiert“

Prof. Dr.-Ing. Daniel Lohmann und Prof. Dr. Florian Kluge (v.l). Fotografen: Tim Scheuer und Karsten Ordelheide
Prof. Dr.-Ing. Daniel Lohmann und Prof. Dr. Florian Kluge (v.l). Fotografen: Tim Scheuer und Karsten Ordelheide

Interventionen können Teil einer Phase Null sein. Sie laden zum Dialog über Raum. Dabei werden die Bedürfnisse und Ansprüche der Bürger*innen an ihren Lebensraum in den Vordergrund gestellt, sagen Florian Kluge und Daniel Lohmann. Für die Phase Null wichtiger Bezugspunkt in der Gestaltung von Räumen. Im Interview erklären die beiden Architekturprofessoren der Alanus-Hochschule in Alfter und der TH Köln, wie Interventionen als Schnittstelle zwischen Architektur und Gesellschaft funktionieren und welche Potenziale sich daraus ergeben können. Auf Initiative von Baukultur Nordrhein-Westfalen wurden die Professoren als Teil der Gruppe GrenzWertig interviewt.

Herr Kluge, unter dem Begriff der Intervention kann sich nicht jeder etwas vorstellen. Erklären Sie doch bitte kurz, worum es geht.

FK: Die Intervention ist im einfachsten Sinne zunächst ein Eingriff in den öffentlichen Raum. Wenn wir über Stadtentwicklung und Architektur reden, geht es häufig um langwierige Prozesse. Es wird viel Geld in die Hand genommen und es wird etwas gebaut, das Hundert Jahre oder länger halten soll. Eine Intervention ist das Gegenteil davon: Sie geht schnell, ist einfach zu bauen und wird wieder abgebaut. Es dürfen Dinge ausprobiert werden, die nicht fertig sein müssen. Es ist ein Experiment.

Wie verläuft eine Intervention?

FK: Wir gehen in den öffentlichen Raum, verändern ihn und schaue, was passiert. Wir hoffen etwas zu sehen, das spektakulär oder aufsehenerregend ist. Manchmal sind es aber auch ganz einfache Dinge – wir haben beispielsweise einmal mit Studierenden der Alanus-Hochschule einen Pavillon aus 500 Bierkisten errichtet. Das ging schnell, das Bauprinzip ist wie Lego – es versteht also jeder. Wer wollte, konnte sogar mitbauen. So entstand etwas, das sichtbar ist, das man anfassen und in das man reingehen konnte. Jeder, der daran vorbeikam, blieb stehen und fragte: Was passiert hier? Und wir haben zurückgefragt: Was machst du auf diesem Platz und wie nutzt du ihn? Und was macht es mit dir, wenn da plötzlich ein Pavillon aus Bierkisten steht? Das ist eine Intervention.

Was ist das Ziel dieser ja eher künstlerischen Aktionen?

FK: Es geht darum auszuprobieren, wie man Räume umgestalten kann. Was kann daraus entstehen? Was passiert, wenn ich einfach mal den Verkehr blockiere? Oder ein Gebäude verschwinden lasse, in dem ich es verdecke. Oder Wegeströme umlenke. Was wünschen sich die Menschen, wie man in Zukunft plant? Ich will so mit den Bürgern ins Gespräch kommen und diese Erkenntnisse in den realen Planungsprozess mitnehmen. Es gibt ja Architekturwettbewerbe mit Menschen, die den öffentlichen Raum planen. Denen kann man die Ergebnisse aus den Dialogen mit den Bürgern mitgeben, damit sie bei der Entwicklung der Entwürfe beachtet werden.

Daniel Lohmann, wie schätzen Sie als Architekturhistoriker diese Form der Architekturkommunikation ein?

DL: Aus ephemere Architekturen, also architektonischen Elementen, die temporär zu sehen sind, kann man Inspiration ziehen. Wenn etwas gebaut wird, wie etwa das Riesenrad am Rheinufer in Köln, dann interessiert uns daran weniger die Funktion dieses Rades, sondern was so eine temporäre Intervention mit unserer Wahrnehmung macht. Wenn ich als Städter auf einen Marktplatz komme, wie ich ihn normalerweise kenne, und der ist auf einmal räumlich anders, lässt mich das diesen Platz anders wahrnehmen. Stellen Sie sich vor, dass Sie in ihre Heimatstadt zurückkehren und ein markanter Baum ist gefällt worden. Plötzlich fehlt da etwas. Das ist für mich der Moment, in dem man merkt: Ich nehme die Stadt anders war und denke darüber nach.

Die Veränderungen im öffentlichen Raum, das Verdecken von Gebäuden oder die Beeinflussung des Verkehrs wird nicht jeder Bürger gut finden. Ecken Sie da nicht auch an?

DL: Hoffentlich!

FK: Meistens gibt es keinen großen Ärger, weil Studierenden eine größere Verrücktheit zugestanden wird. Zudem sieht man den Dingen an, dass sie bald wieder weg sind. Aber wenn jemand kommt, der das total schlimm findet, kann ich fragen: Warum eigentlich? Ist es nur im Weg? Ist es hässlich – und was ist eigentlich hässlich? Warum fühlt er sich gestört? In dem, was er tut? Oder ist es eine Auseinandersetzung mit etwas Baulichem? Vielleicht will er auch sagen: Hier müsste etwas anderes entstehen. Vielleicht wünscht er sich, dass mehr Parkplätze entstehen oder gar, dass die Autos wegkommen. Und genau diese Fragen wirft man auf, indem man einfach mal zehn Parkplätze blockiert. Bis einer kommt und sagt: Was machst du hier für einen Käse?

Mit provokanten Aktionen können Sie die Menschen aber auch verschrecken.

DL: Es verhält sich doch so: Wenn es um zentrale und wichtige Orte in einer Stadt geht, nehmen viele Leute Veränderungen im Stadtbild wahr und beziehen eine Position dazu – von Bewohnern bis hin zu Touristen, Laien und Spezialisten. Genau das schafft eine Intervention. Sie macht auf unsere spezifische Sichtweise als Architekten, Stadtplaner und Landschaftsarchitekten aufmerksam. Was können wir zur Qualität einer Stadt beitragen? Wie können wir über unsere Stadt radikal und anderes nachdenken? Bei der Stadtplanung tangiert man die Bevölkerung auf mehreren Ebenen, aber bei der Architektur ist es nötig, dass man darauf hinweist, wo Qualitäten und Mängel sind. Sie soll auf das neugierig machen, was wir zu sagen haben und auf das, was die Bürger denken. Die Intervention ist ein Türöffner.

Was passiert nach der Intervention?

FK: Das ist von Projekt zu Projekt verschieden. Es kann Bürgerversammlungen geben; es werden Architekturwettbewerbe ausgeschrieben oder öffentliche Präsentationen und Anhörungen veranstaltet. Als Durchführender einer Intervention bin ich nicht für alles verantwortlich – und das ist gut so. Ich bin zunächst wie ein initialer Zündungspunkt. Ich werfe Fragen auf, ich eröffne den Dialog, ich produziere Bilder, an denen ich mich reiben kann – im Guten wie im Schlechten. Gleichzeitig weise ich aber auch darauf hin, dass es einen offiziellen Planungsprozess und dass es Möglichkeiten gibt, sich einzubringen. Interventionen sind nicht das Allheilmittel, das alle Fragen beantwortet. Sie passieren; sie sind ergebnisoffen. Und das Schöne ist: Man weiß nicht immer, was dabei herauskommt.

Prof. Dr.-Ing. Florian Kluge lehrt seit 2010 an der Alanus-Hochschule in Alfter und ist dort Leiter des Instituts für Prozessarchitektur (www.alanus.edu). Nach einem Studium der Landschaftsarchitektur in Hannover und einem Studium im Fach Projektmanagement/Projektsteuerung an der Bauhaus Universität Weimar war Kluge unter anderem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur der RWTH Aachen, wo er 2008 zum Doktor der Ingenieurwissenschaften promoviert wurde. Kluge ist außerdem Partner des Büros nonconform.

Prof. Dr.-Ing. DanielLohmann ist seit 2017 Professor für Architekturgeschichte und Entwerfen an der TH Köln. Er studierte Architektur an der RWTH Aachen und dem Edinburgh College of Art und war anschließend unter anderem in Bauforschung, Denkmalpflege und Archäologie tätig, unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der RWTH Aachen. 2014 wurde er an der Technischen Universität Cottbus mit einer Dissertation zum Thema „Das Heiligtum des Jupiter Heliopolitanus in Baalbek. Die Planungs- und Baugeschichte“ zum Dr.-Ing promoviert.

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Fenna Tinnefeld

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Projektmanagerin Phase 0 für die Stadt

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