26.06.2024
Ressourcen statt Energie
Lillith Kreiß hat sich für uns auf den Berliner Energietagen getummelt und im Rahmen der Session des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) das Projekt UmBauLabor von Baukultur NRW vorgestellt.
Hochglanzprodukte zu erzeugen und ihre Überreste wegzuschmeißen, ist nicht mehr zeitgemäß. Dennoch ist es die gegenwärtige Praxis. Das ist in temporären Ausstellungsformaten auch für den Bausektor schmerzlich sichtbar. Auf der Architekturbiennale in Venedig werden zweijährig die neusten Entwicklungen der Architektur gezeigt. Da wurde es Zeit, dass auch der Prozess der Materialbeschaffung und Verwertung durch die Brille von „care“, der Pflege und Sorge, betrachtet wird.
Die Biennale zeigt, was neu, was aufregend, was spannend ist. Der Aufbau der Schau muss schnell und effizient funktionieren, der Abbau erfolgt ebenso rasant. Und am besten ist alles schneller weg, als es gekommen ist, denn die nächste Ausstellung steht an. Dass dies keine kleinen Mengen, sondern Berge von Müll produziert, erschließt sich dem geschulten Auge schnell. In Venedig, einer Stadt, die auf dem Wasser gebaut wurde und in der alles auf dem Seeweg transportiert wird, sind diese Materialien und Müllflüsse (wörtlich zu nehmen) umso deutlicher sichtbar.
Bei einer kurzen Fahrt mit dem Vaporetto, den lokalen Wasserbussen, begegnet man den verschiedenen Bootstypen im Stakkato. Ein Boot transportiert alte Wäsche, ein anders Boot Restmüll, ein weiteres Geröll, ein Boot Holz, eines transportiert Kranke und ein anderes Touristen. Um also die Biennale auf die Beine zu stellen, werden jedes Jahr große Menge an verschiedenen Booten zu den Ausstellungsorten geschickt, die Material anliefern und ungewünschtes Material, anders ausgedrückt Abfall, vom Festland zu den Inseln bewegen. Da braucht ein Kunstwerk schonmal vier Boote, weil es aus vier unterschiedlichen Material-Clustern zusammengesetzt ist.
In diesem Kontext hat sich das Kurator*innen-Team des deutschen Pavillons der Biennale 2023 die Aufgabe gestellt, ein Gegenmodell zu entwickeln. Nicht nur zu den herkömmlichen Materialkreisläufen, sondern auch zu den herkömmlichen Abläufen in der Gestaltung von Ausstellungen, Betreuung der Besucher*innen und vorhandener Infrastruktur. Unter dem Titel „Open for Maintainance“ wurde in diesem Jahr im deutschen Pavillon darum keine Ausstellung, sondern ein „Handlungsansatz für eine Baukultur jenseits der vorherrschenden Ausbeutung von Ressourcen und Menschen“ geschaffen. Das kuratierte Konzept setzt sich dabei aus mehreren Teilen zusammen. Alle berufen sich auf die Grundprinzipien des Sorgetragens für andere und die Umwelt.
Florian Summer, einer der Kuratoren, erzählt enthusiastisch und ausführlich über das Projekt und nimmt uns mit auf eine Tour. Im Hauptraum findet sich das Materiallager, in dem Materialien der letzten Kunst-Biennale aus dem Jahr 2022 zusammengesammelt und katalogisiert wurden. Inmitten der Sammlung ist noch die Ausgrabungsstätte der Kunst-Biennale von Maria Eichhorn „Relocating a Structure“ zu sehen. Sie entblößte durch ein teilweises Rückbauen auf die Grundmauern die verschiedenen Schichten des Gebäudes und damit auch die Spuren der Nationalsozialisten, die dem Pavillon 1938 seine heutige Form gaben. Dieses Relikt war mit ausschlaggebend für die Auseinandersetzung des Kurator*innen-Teams, und der Gestaltung der Nationalsozialisten wollte das Team etwas entgegensetzen.
In den Seitenräumen wurden darum für dieses Jahr eine voll ausgestattete Werkstatt, ein Waschraum mit zwei Toiletten, Waschbecken und Wickelkommode und eine Teeküche eingerichtet, die mit Ausnahme der Werkstatt für alle zugänglich gemacht wurden. Zum Gebäude hinauf führt eine zentral platzierte Rampe. Bei allen Einrichtungen wurde auf barrierefreie Zugänglichkeit, die Verwendung von Sekundärmaterial aus der vergangenen Ausstellung, sowie die konstante Wiederverwendung von Reststoffen geachtet.
Die Kurator*innen haben ihr Konzept zudem über den Wirkungsraum des Biennale-Geländes hinaus gedacht. Auch die Inseln von Venedig mit ihren Bewohner*innen sollen von den Materialien und der Ausstellung profitieren. Dafür kooperieren die Kurator*innen mit lokalen Aktionsbündnissen, Einrichtungen und Gruppen, darunter Assemblea Sociale per Casa (beschäftigen sich mit Leestand in Venedig) oder Initiative Rebiennale (beschäftigt sich mit der Weiterverwendung des Abfalls der Biennale). Alle paar Wochen waren aus dem Pavillon Baustellengeräusche zu vernehmen. Gruppen aus deutschen Hochschulen, Universitäten, Initiativen, Vereinen oder Verbänden kamen für ein paar Tage in den Pavillon, um aus dem gefundenen Material etwas für eine der Gruppen oder Einrichtung in Venedig zu bauen.
In der letzten Septemberwoche hatte das Team von Baukreisel die Aufgabe einen Bar-Bereich in der Kultureinrichtung „Spacio Punch“ auf Giudecca winterfest zu machen. Das bedeutete, die nicht verglasten Öffnungen zum Hof verschließbar zu machen, die Bar und das Lichtsystem zu erneuern und auszuarbeiten. Im Prozess mitgearbeitet haben neben Studierenden des KIT und der TU Graz das Team des Baukreisel und die Betreiber*innen von Spacio Punch. Die ersten Tage wurden für den Entwurfsprozess verwendet, bei dem gemeinsam mit den Betreibenden entwickelt wurde, was genau umgesetzt werden soll. Anschließend einigte man sich auf eine grobe gestalterische Richtung unter Verwendung der vorhandenen Materialien im deutschen Pavillon. Den anschließenden Bau setzen zwei Gruppen um: Eine Gruppe arbeitete auf dem Giardini-Gelände an den Konstruktionen, die andere bereitete den Ort für den späteren Einbau vor.
„Besonders spannend für die Gruppe war das Mitdenken des Boottransportes für die erarbeiteten Möbel und Bauteile“, erzählt ein Vertreter der Gruppe Baukreisel. Um auf den herausfordernden Transport einzugehen müssen die Bauteile so gebaut werden, dass sie modular funktionieren und vor Ort einfach zusammengebaut werden können. Für den Umgang mit Bestandsmaterial, so berichtet eine Studierende, ist es nach der Planungsphase erforderlich am Konkreten Objekt Fügungen und Formen auszuprobieren und im Zweifel wieder zurück in die Planung zu gehen und Vorgehendweisen an das vom Material erlernte anzupassen. Nach einer kurzen Woche für Entwurfsarbeit, Umsetzung, Transport und Einbau inklusive einer feierlichen Eröffnung ist dieser Teil des Projektes abgeschlossen. Was bleibt, ist das ins „Spacio Punch“ eingebaute Mobiliar und ein paar Bilder und Pläne, die im Pavillon für Besuchende die intensiven Workshops zusammenfassen.
Nun – zum Ende des Jahres und nach der Ausstellung – dürften auch die Kurator*innen von „Open for Maintainance“ wieder in Venedig sein, um das Gebäude in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen. Denn auch wenn sie mit ihrem Ansatz Menschen aufgerüttelt haben, gibt es Abläufe, die einzuhalten sind. Der Pavillon muss in seinem Urzustand zurückversetzt werden (nicht der aus der Weimarer Republik, sondern der von Anfang 2022 bzw. so wie er seit 1938 aussieht).
Die Arbeit von Maria Eichhorn wird mit dem unter der Rampe versteckten Verfüllmaterial geschlossen; die Rampe, die Toiletten, die Werkstatt, die Teeküche und das Materiallager werden wahrscheinlich für die nächste kuratorische und künstlerische Auseinandersetzung mit dem Raum weichen. Die geretteten Materialien der vorangegangenen Biennale konnten laut Projekt Website jedoch alle weiterverwendet werden. Es bleibt zu hoffen, dass in diesem letzten Schritt nicht Müllberge auf dutzenden Booten bewegt werden müssen, sondern der Ansatz des Kuratorenteams (ARCH+, Summacumfemmer und Büro Juliane Greb) die vorherrschende Ausbeutung der Ressourcen umgehen konnte. Wir bleiben gespannt.
Mit dem Umbauen beschäftigt sich Baukultur NRW im UmBauLabor in Gelsenkirchen-Ückendorf. In dem Gebäude in der Bergmannstraße 23 stellt das Team die Frage „Wie viel Wert steckt in diesem Haus?“ und widmet sich ihr in der Auftaktveranstaltung am 14. März 2024 mit vielen Vortragenden und Akteur*innen. Am Vormittag werden Podien zu den Themen Umbauen und Baukultur sowie deren Rahmenbedingungen und Abwägungsfragen stattfinden. Am Nachmittag geht es mit diesen Fragen in das Quartier und in das Gebäude zur Sichtung und zum gemeinsamen Diskurs.