25.01.2018
Keine Kneipe ist auch keine Lösung
Das Problem ist überall sichtbar: In den letzten 25 Jahren ist jede zweite Eckkneipe geschlossen worden.
Das Aussterben der Kneipe schreitet in Nordrhein-Westfalen weiter voran. Ursachen wie ein gesellschaftlicher Wandel und veränderte Freizeitbedürfnisse führen dazu, dass die Menschen im Ruhrpott und Rheinland lieber ihr Feierabendbier alleine auf dem heimischen Sofa trinken, als ihre Zeit in Kneipengesellschaft zu verbringen. Das Phänomen hinterlässt nicht nur Spuren bei verzweifelten Wirtinnen und Wirten, auch die lange Diskussions- und Demokratiekultur der Region, die durch den Austausch in öffentlichen Räumen wie Kneipen oder Gasthäusern lebt, leidet unter dem Kneipensterben. In letzter Zeit zeichnet sich aber eine Gegenbewegung ab, zur Freude aller Kneipenfans: Zahlreiche Projekte engagierter Bürgerinnen und Bürger in ganz NRW lassen die Schankkultur wiederaufleben und in neuer Gestalt erstrahlen.
Ein aktuelles Beispiel findet sich in Dortmund. Zwölf junge Menschen übernehmen in Eigenregie eine urige Kneipe inmitten der Nordstadt und verhindern damit die Schließung eines weiteren Schankbetriebs. Als im Dezember 2018 klar wird, dass die Besitzerin der Stallgasse nach 43 Jahren Schankbetrieb in den Ruhestand geht, entsteht der Gedanke, einen Verein zu gründen und das Lokal zu übernehmen. Die Idee dahinter: das klassische Kneipenkonzept beibehalten und durch einige Besonderheiten wieder attraktiv machen, sodass sowohl Stammgäste aus der Nachbarschaft als auch Menschen der jüngeren Generation sich dort willkommen fühlen und gerne aufhalten. Im Vordergrund steht für die Beteiligten nicht der finanzielle Gewinn, sondern der soziale Aspekt des generationsübergreifenden Austauschs und der aktiven Mitgestaltung des kulturellen Angebots ihres Quartiers. Neben ihren sonstigen Tätigkeiten wollen sie zukünftig an drei Tagen in der Woche abwechselnd und ehrenamtlich eine Thekenschicht übernehmen und zum Austauschen, Kartenspielen und Fassbier-, aber auch Weintrinken einladen. Finanziert wurde das Projekt bisher durch Eigenkapital und Mitgliederbeiträge der Beteiligten. Um ein langfristiges Bestehen zu sichern, hofft der Verein jedoch zukünftig auch auf Fördermitgliedschaften und Spenden. Im April sollen die Pforten der Stallgasse wieder öffnen.
Solche Projekte sind keine Seltenheit in NRW, auf unterschiedlichste Art und Weise wird der Kneipenbetrieb wieder angekurbelt. In Köln Mülheim wird beispielsweise von zwei DJ-Kollektiven regelmäßig zu einer Tanzveranstaltung ins Haus Regent eingeladen, auf der Stammgäste der Kneipe gemeinsam mit Liebhabern der elektronischen Musik feiern. Auch die frisch gegründeten Kölner Trinkgenossen bedienen sich am Grundkonzept der Kneipe: durch die Neueröffnung einer Bar wollen sie einen sozialen Raum des Austauschs schaffen. Die Gäste des Neulands in der Bochumer Rottstraße trinken ihr Bier in einer Kneipe mit heimischem Wohnzimmercharme und das kürzlich wiedereröffnete Oval Office (ehemals Eve Bar) im Keller des Bochumer Schauspielhauses bietet einen Raum für Stadttheater und freie Szene, der kollektiv organisiert wird.
Bürgerschaftliche Bestrebungen das Grundkonzept Kneipe als sozialen Raum des Austauschs wiederzubeleben nehmen deutlich zu. Die Kneipe kommt wieder, wenn auch in transformierter Gestalt. Alte und neue Kneipenfans haben wieder Grund zur Hoffnung.
Weitere Informationen zu den einzelnen Projekten findet man unter:
www.stallgasse.org
www.haus-regent.de
Mund zu Mund
Armillaria Kollektiv
www.trink-genosse.de
www.neuland-bochum.deOval Office Bar