Die evangelische Willkommenskirche in Overath von Springer Architekten.
Die evangelische Willkommenskirche in Overath von Springer Architekten. Foto: Stefan Müller

Kirchen als Denkräume!
Der 30. Evangelische Kirchbautag im Rückblick

Von 8. bis 11. September fand in Köln der 30. Evangelische Kirchbautag statt. Die zentrale Frage war: Was passiert mit den Kirchen, die wegen der sinkenden Zahl von Christen nicht mehr gebraucht werden?

Mehr als 500 Teilnehmer trafen sich vier Tage lang in Köln zum 30. Evangelischen Kirchbautag unter dem Motto „Mut baut Zukunft“. Zu den Kirchbautagen kommen vor allem all diejenigen, die sich in den Evangelischen Landeskirchen um das Bauen kümmern: Architekten und Architektinnen, Künstlerinnen und Künstler – und dieses Mal waren auch viele Pastoren und Pastorinnen in Köln, denn es ging um eine der großen Zukunftsfragen: Was passiert mit den zahlreichen Kirchen und Gemeindezentren, die aufgrund der sich stetig verringernden Zahl von evangelischen Christen nicht mehr gebraucht werden? Eine Herausforderung, die sich gleichermaßen auch für die Katholische Kirche stellt. 

Mehr als ein funktionaler Wert?

Aktuelle Studien gehen davon aus, dass im Jahr 2060 beide christlichen Kirchen nur noch die Hälfte ihrer derzeitigen Mitglieder haben werden. Damit geht auch ein enormer finanziellen Verlust einher, der für den Unterhalt der Gebäude gravierende Folgen hat. Die Frage war also: Wie gehen wir mit unseren Kirchengebäuden um – abreißen, umbauen, für andere Nutzen freigeben? In den Eröffnungsworten aber kristallisierte sich sehr schnell eine noch tieferliegende Frage heraus: Haben Kirchenbauten einen Wert, der über den rein funktionalen Raum hinausgeht? Im Vorwort des Programmheftes wagten die Veranstalter des Kirchbautages eine steile These: „‚Mut baut Zukunft‘ – weil eine kluge Investition in Steine auch eine Investition in Menschen und ihre Möglichkeiten zur Entfaltung ist.“

Und so stellte auch Gerhard Matzig, Architekturjournalist der Süddeutschen Zeitung, in seinem Eröffnungsvortrag die identitätsstiftende und ikonische Kraft von Bauwerken in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Er zeigte – wohl mit einem kleinen Augenzwinkern – keine Kirchenbauwerke, sondern verwies unter anderem auf das bis heute legendäre Olympiadach in München. Nicht nur bei dessen Entwurf, sondern auch bei der Realisation sind Architekten, Ingenieure und Bauleute mit viel Mut und Risikobereitschaft ans Werk gegangen, um in einer gänzlich neuen Architektur ein heiteres Bild von Deutschland zu zeigen.

Kultureller Ausdruck in der Architektur

„Wir drücken uns in Architektur aus“, brachte es Professor Thomas Erne in der anschließenden Diskussion auf den Punkt. Die beiden Diskutanten kamen zu dem Fazit, dass in den Kirchenräumen die christliche Botschaft zurzeit deutlicher erlebbar sei, als in der Verkündigung der Institutionen. So müssten sich die beiden christlichen Kirchen in ihren Denkräumen wieder weiten und außerdem Denkraum und architektonischer Raum wieder enger zusammenkommen!

Das war ein Gedanke, der mich im Rahmen des Kirchbautages auch auf der Exkursion nach Overath zur „Willkommenskirche" begleitete. Hier ging es um einen Kirchenneubau, der im September 2021 eingeweiht worden ist. Die evangelische Kirchengemeinde Overath hatte ursprünglich zwei Kirchenstandorte: eine kleine hölzerne Kirche, die im Rahmen des Notkirchenprogramms von Otto Bartning 1951 am Ortsrand errichtet worden war und eine zweite Kirche aus den 1960er Jahren weiter oben am Berg.

Die evangelische Willkommenskirche in Overath von Springer Architekten. Foto: Stefan Müller
Die evangelische Willkommenskirche in Overath von Springer Architekten. Foto: Stefan Müller

Neues Zuhause für Bartning-Kirche

Ab den 2010er Jahren zeichnete sich ab, dass beide Kirchenstandorte für die Gemeinde nicht mehr tragbar waren. Nach schwierigen Diskussionen im Presbyterium entschied man, nur noch einen Standort zu erhalten. Für die weiteren Entscheidungen kamen zwei glückliche Umstände zur Hilfe. Die Kirche aus den 1960er Jahren konnte an eine Freikirche verkauft werden, was der Gemeinde das Loslassen vom Kirchengebäude erleichterte, da der Ort weiter sakral genutzt wird. Die charakteristische Otto-Bartning-Kirche fand ein neues „Zuhause“ im Freilichtmuseum in Kommern in der Eifel an einem dort neuangelegten Marktplatz der 1950er Jahre. Dort steht die Kirche den Overather Gemeindemitgliedern weiterhin offen für Gottesdienste. 

Durch diese Optionen wurde der Weg frei für einen neuen Sakralbau, an den das alte Gemeindehaus – im Inneren umgebaut – angeschlossen werden musste. 2018 gewannen Springer Architekten aus Berlin mit ihrem Entwurf in einem eingeladenen Wettbewerb den ersten Preis. Das Presbyterium sah in dem Entwurf ihre beiden Hauptanliegen am besten realisiert: einen spirituellen Sakralraum zu schaffen, der auch als multifunktionaler Raum zu nutzen ist. Die Architekten*innen ließen sich von der schlichten Holzarchitektur Otto Bartnings inspirieren und griffen ihrerseits auf eine Holzkonstruktion zurück.

Den kreisrunden Sakralbau rückten sie auf eine etwas höhere und damit exponierte Lage am Südhang des Klarenberges, so dass die Kirche nun auch vom Ort aus sichtbarer ist. Die äußere Gebäudehülle ist dunkel gestrichen, der Baukörper ragt wie eine Skulptur aus der Landschaft. Im Inneren öffnet sich ein lichter, heller Kirchenraum. Der Altar, der wie alle Prinzipalstücke aus der alten Kirche übernommen wurde, steht in der Mitte des Raumes. So bildet sich hinter dem Altar noch ein weiterer intimer Raumbereich aus, der auch durch eine mobile Holzwand vom Kirchenraum getrennt werden kann.

Die evangelische Friedens- und Versöhnungskirche in Overath von Springer Architekten. Foto: Stefan Müller
Die evangelische Friedens- und Versöhnungskirche in Overath von Springer Architekten. Foto: Stefan Müller

Einige Mitglieder der Gemeinde waren gekommen, um mit den Exkursionsteilnehmern des Kirchbautages über diesen neuen Sakralraum und seine spirituelle Wirkung zu diskutieren. Einige fühlen sich nicht wohl in diesem neuen Raum, der ihnen zu nüchtern, zu sachlich ist. Sie vermissen Elemente, die von einem historischen Kirchenraum geprägt sind, wie zum Beispiel farbige Fenster. Andere in der Gemeinde haben den Neubau bereits als eine neue Heimat akzeptiert. Eine ältere Dame, die als Flüchtlingskind nach Overath kam und sich noch voll Dankbarkeit an die Einweihung der alten Kirche erinnert, meinte: „Wir müssen uns den neuen Herausforderungen stellen.“

Herausforderung: Reduktion in allen Bereichen

Mit dieser einfachen Aussage war der Bogen gespannt zur Abschlussdiskussion am Samstag und dem Impuls von Professor Jörg Lauster von der Universität München. Er sprach davon, dass die Herausforderung unserer Zeit die Reduktion in allen Lebensbereichen ist. So steht auch der Um- oder Rückbau von Kirchen im Fokus und die Neubauten werden geprägt von der Sparsamkeit im Umgang mit den Ressourcen. Das erzeugt Verlustängste, so war es auch in Overath zu spüren. Aber Umbau, Abriss und Neubau durchziehen die ganze Geschichte des Kirchenbaus und sie haben immer wieder neu Chancen eröffnet, weil zeitgemäße Lösungen gefunden wurden.

Die aktuelle Herausforderung mit unseren Sakralräumen umzugehen, betrifft die evangelische wie die katholische Kirche gleichermaßen und ist nicht nur eine Herausforderung für die einzelnen Gemeinden und die beiden christlichen Kirchen, sondern für die gesamte Zivilgesellschaft, denn Kirchen waren zu allen Zeiten in Europa auch immer mentale Zufluchtsorte. Wir müssen sie als Möglichkeits- und damit auch Denkräume neufassen.

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