Der Mariendom im nordrhein-westfälischen Velbert-Neviges, erbaut von 1963 bis 1968 in Gestalt eines Felsendoms nach Plänen von Gottfried Böhm.
Der Mariendom im nordrhein-westfälischen Velbert-Neviges, erbaut von 1963 bis 1968 in Gestalt eines Felsendoms nach Plänen von Gottfried Böhm. Foto: Rabanus Flavus, Public domain from Wikimedia Commons

Out of the dark, into the light.
Zum gestiegenen Interesse an der Nachkriegsarchitektur

Erhalten oder abreißen - darauf wird das Thema Nachkriegsarchitektur oft verkürzt. Nun bekommt die Diskussion wieder mehr Öffentlichkeit durch eine erwachende Neugier und neue Wertschätzung für die Architektur der 1950er bis 1970 Jahre.

Comeback der Nachkriegsmoderne

Auf einmal treten sie aus der Schmuddelecke ins Licht der öffentlichen Betrachtung. Die Rede ist von den Bauwerken der ersten drei Nachkriegsjahrzehnte und ganz besonders von den Architekturen der 1960er und 1970er Jahre. In der Forschung haben sich Architekturhistoriker schon länger diesen Jahrzehnten zugewandt und Museen den Protagonisten wie Gottfried Böhm, Oswald Mathias Ungers, Josef Paul Kleihues und Paul Schneider von Esleben monografische Ausstellungen gewidmet. Unter dem derzeitigen Druck, dass viele dieser Bauten sanierungsbedürftig sind, beschäftigte sich auch die Denkmalpflege verstärkt mit der Nachkriegsmoderne.

Mittlerweile haben einige wichtige Bauwerke der 1950er Jahre den Status eines Baudenkmals erhalten. So konnte für die Bauten dieses Jahrzehnts ein positives öffentliches Interesse geweckt werden. Die elegante und filigrane Architektur der „Fifties“ ist mittlerweile als Ausdruck der jungen Bundesrepublik in der Öffentlichkeit sanktioniert.

Zu viel Beton

Möbel und Alltagsgegenstände der 1960er und 1970er Jahre haben in letzter Zeit teilweise Kultstatus erreicht. Modemacher lassen sich immer wieder von diesen Jahrzehnten inspirieren. Allein die Architektur gilt den meisten Zeitgenossen als zu großmaßstäblich, grob in der Materialwahl und Bearbeitung, zu viel Beton! Sie wird rund weg als hässlich empfunden und ist in der öffentlichen Meinung vielfach freigegeben für den Abriss.

Die 1960er und 1970er sind hip

Doch seit kurzem gibt es fast einen Hype um diese Architektur, insbesondere die Bauten, die die Fachwelt dem New Brutalism zuzählt. In unterschiedlichsten sozialen Medien, Online-Magazinen (z.B. gibt es eine schöne Sammlung von brutalistischen Bauten auf rottenplaces) werden weltweit Informationen und vor allem aber Bilder dieser Bauwerke verbreitet. Eine Datensammlung "SOS Brutalimus" im Internet, die mittlerweile fast 1.200 Bauwerke umfasst, war die Basis für die Ausstellung „SOS Brutalismus. Rettet die Betonmonster!“, die über die Jahreswende 2017/18 mit großer Resonanz im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zu sehen war.

Anfang 2016 hat sich im Ruhrgebiet unter dem Namen „Ruhrmoderne“ eine Initiative aus Fachleuten und lokalen Akteuren gebildet, die sich mit dem vielschichtigen und sehr unterschiedliche Strömungen umfassenden modernen Erbe der Nachkriegszeit im Ruhrgebiet beschäftigt. Dabei betrachtet die Initiative nicht nur Bauwerke, Stadt- und Infrastrukturen und analysiert ihre Qualitäten. Vielmehr versucht sie, diesem gebauten Erbe einen Weg in die Zukunft zu ebnen.

Big Beauties

Unterstützt wird dieses Anliegen zurzeit mit einer Kampagne der StadtBauKultur NRW im Rahmen des Europäischen Kulturerbejahres 2018. Unter dem plakativen Titel "Big Beautiful Buildings" zeichnet sie eine Reihe bedeutender Nachkriegsbauten im Ruhrgebiet aus. Es zeigt sich, dass die Menschen vor Ort stolz sind auf die jeweilige Auszeichnung „ihres“ Bauwerks. Die Binnensicht ist also vielfach sehr viel positiver als die Betrachtung von außen.

Gegen die Langeweile

Der Genex-Turm von Architekt Mihajlo Mitrović ist 115 Meter hoch und liegt in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Foto: Błażej Pindor [CC BY-SA 3.0], from Wikimedia Commons.
Der Genex-Turm von Architekt Mihajlo Mitrović ist 115 Meter hoch und liegt in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Foto: Błażej Pindor [CC BY-SA 3.0], from Wikimedia Commons.
Hinzu kommt, dass sich vor allem jüngere Architekten angezogen fühlen von den Bauten der 1960er und 1970er Jahren und ihrer ausdrucksstarken, vom Material geprägten und aus dem jeweiligen Kontext heraus entwickelten Architektursprache. Das mag nicht verwundern in einer aktuell von immer gleichen Rasterfassaden dominierten Architektur. Ulrich Conrads im Jahr 1960 gewählter Titel „Bevor die Langeweile uns verwüstet“[1] für einen Beitrag in der Bauwelt wäre ein passender Slogan, unter dem sich die begeisterte jüngere Architektenschaft wieder versammeln könnte.

Begeisterung allein reicht nicht

Bei aller Begeisterung unter den Fachleuten bleibt doch diese sperrige Architektur den meisten Menschen schwer verständlich und ästhetisch unzugänglich. Neben der Begeisterung braucht es daher auch Erklärung aus welcher Haltung, mit welchen Überlegungen und Zielen diese Architektur entstanden ist, welcher der Architekturhistoriker Adrian von Buttlar jüngst attestierte, dass sie „die ‚progressive‘ Identität der jungen Bundesrepublik maßgeblich geprägt“[2] habe.

Ausstellung „Modern gedacht! Symbole der Nachkriegsarchitektur“

Unter dem Titel „Modern gedacht! Symbole der Nachkriegsarchitektur“ zeigt das M:AI vom 31. Oktober bis zum 16. November 2018 eine Ausstellung im Foyer des Technischen Rathauses Bochum , die in sechs Kapiteln Schlaglichter auf wichtige Themen und Herausforderungen in der Architektur, der Stadtplanung und der Ingenieurkunst dieser drei Nachkriegsjahrzehnte in Deutschland wirft.

Eine Zeit, die geprägt war vom Aufbruch in Wissenschaft, Technik, Kunst und Kultur, getragen von wirtschaftlichem Aufschwung und der Hoffnung auf eine neue und bessere Gesellschaft - modern gedacht!

[1] Ulrich Conrads, Bevor die Langeweile uns verwüstet, in: Bauwelt, 8, 1960, 203.

[2] Adrian von Buttlar, Brutalismus in Deutschland. Fortschrittspathos als ästhetische Revolte, in: Brutalismus. Beiträge des internationalen Symposiums in Berlin 2012,  hrsg. Wüstenrot Stiftung, Zürich 2017, 75.

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