16.09.2016
Wohngebiete: Am Anfang steht die Nachfrage
Wohnungsbau in großer Dimension war in den vergangenen 120 Jahren immer eine Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen.
Wie willst Du wohnen? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Denn das heutige Wohnen drückt sich zunehmend durch Vielfalt aus. In europäischen Städten entwickeln sich derzeit mehrere gemeinschaftliche Wohnprojekte, die zeigen: auch so lässt sich wohnen. Und dies abseits von der typischen WG und erst recht nicht in der Normwohnung oder mit der herkömmlichen Aufteilung Küche-Diele-Bad. Was ist also möglich?
Impulse in der Debatte versucht das Buch "Wohnvielfalt. Gemeinschaftlich wohnen – im Quartier vernetzt und sozial orientiert" zu geben, das im Sommer 2017 erschienen ist. Darin präsentieren die Autoren Susanne Dürr und Gerd Kuhn die Ergebnisse ihrer Studie, die im Auftrag der Wüstenrot Stiftung vorgenommen worden ist. Der Blick richtet sich dabei auf gemeinschaftlicher Wohnprojekte mit unterschiedlichen Dimensionen der Quartiersvernetzung und Nachbarschaftsbildung.
Gemeinschaftlichen Wohnprojekten eilt der Ruf (z.T. noch immer) voraus, den Wunsch Einzelner oder einer kleine gesellschaftlichen Gruppe nach nostalgischer Gemeinschaft zu bedienen. Jedoch nehmen diese Formen zu wohnen zu und finden größere Wertschätzung seitens der Öffentlichkeit. Besonders Genossenschaften, aber auch private Baugemeinschaften etablieren sich als neue Akteure auf einem angespannten Wohnungsmarkt.
Zwölf gemeinschaftliche Wohnprojekte aus Deutschland, Schweiz und Österreich sind der Untersuchungsgegenstand des Forschungsprojekts. Die Wahl fiel auf innovative und experimentierfreudige Wohnprojekte, die nach 2012 fertiggestellt wurden und die eine Besonderheit aufweisen: Sie öffnen sich zum Quartier hin, statt eine verschlossene Wohneinheit zu bilden. Die Kommunikation und der Austausch zwischen den Bewohnern rücken damit in den Fokus und werden als wichtiger Bestandteil für das Wohnen begriffen. Besonders mit ihren günstigen Mieten und eine sozialen Durchmischung verstehen sich die Projekte durchaus als alternatives Modell zu den privaten Bauträgern. (Mehr zur Debatte um das bezahlbare Wohnen siehe auch die Ausstellung „Alle wollen wohnen. Gerecht. Sozial. Bezahlbar“ des M:AI sowie den dazugehörigen Katalog, zu dem auch Gerd Kuhn einen Beitrag zum Thema Cluster-Wohnen verfasst hat).
Anschaulich werden die Wohnformen auch deshalb, weil die Susanne Dürr und Gerd Kuhn die Motive der Bauprojekte darstellen, aber auch die Akteure hervortreten lassen. Dazu zählen unter anderem Bewohner, Planer, Bauträger aber auch öffentliche Repräsentanten. Konsequent stellen die Autoren die Wohnprojekte systematisch gegenüber und leiten in den Kapiteln Stadt, Raum, Programm und Organisation allgemeingültige Thesen ab. Die regt zum Vergleichen an, aber auch zum Nachdenken und zum Diskutieren, was möglich ist beim Planen, Bauen und Wohnen.
Vielfältige Wohnungstypen kommen dabei zum Vorschein, wie traditionelle Wohnungen und (Klein-)Apartments, dazu Wohnen in Privat- und Gemeinschaftsräumen, Clusterwohnungen oder flexible Raumangebote. „Vieles hat im Nebeneinander seine Berechtigung“, heißt es an einer Stelle im Buch. Und: „Soziale und räumliche Vielfalt finden dabei ihre Entsprechung.“ Vielfalt wird positiv verstanden, sodass sich unterschiedliche Lebensentwürfe und Wohnwünsche ergänzen.
Neben den positiven Effekten, zeigt das Buch aber auch Grenzen auf, wenn es zum Beispiel um die Organisationform geht, was Akteure wie Genossenschaften oder Baugemeinschaften betrifft. Oder die Verfügbarkeit von bezahlbaren Grundstücken. Dabei ist die Unterstützung Städten nötig.
Wie willst Du wohnen?, hieß eingangs. Eine Antwort geben die Autoren in ihrem Fazit: "Wohnen wird zur Lebensgestaltung." Das heißt, unsere individuellen Lebensentwürfe haben einen zunehmend größeren Einfluss darauf, wie wir wohnen und – wie wir diesen Raum gestalten.
Wohnvielfalt. Gemeinschaftlich wohnen – im Quartier vernetzt und sozial orientiert
244 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Softcover
Wüstenrot Stiftung [Hg.], bearbeitet von Prof. Susanne Dürr und Dr. Gerd Kuhn, Ludwigsburg 2017, ISBN: 978-3-933249-39-5; kostenlos erhältlich über die Wüstenrot Stiftung