Frau Kleefisch-Jobst, 2016 wurde die Ausstellung „Alle wollen wohnen. Gerecht. Sozial. Bezahlbar“ zum ersten Mal gezeigt, zu einem Zeitpunkt als viele Menschen nach Deutschland flüchteten und eine Unterkunft suchten. Bezahlbares Wohnen wurde zu einem großen Thema für die Gesellschaft und Politik. War dies auch der Auslöser für "Alle wollen wohnen"?
Ursula Kleefisch-Jobst: Im Jahr 2016 haben die Flüchtlinge das Problem erst richtig deutlich gemacht, dass in Deutschland seit Jahren bezahlbarer und sozialer Wohnungsbau fehlt. Und sie haben die öffentliche Debatte über das Thema verstärkt, aber sie haben den Mangel nicht ausgelöst. Wir im M:AI beschäftigen uns schon länger mit dem Thema, weil Wohnungsbau und Wohnkonzepte sowohl den Einzelnen betreffen, als auch für breite Schichten der Gesellschaft zu allen Zeiten von großer Bedeutung sind. Als Architekturmuseum interessiert uns dabei besonders die Frage: Welche städtebaulichen und architektonischen Qualitäten hat bezahlbarer und geförderter Wohnungsbau – und welche sollte er in Zukunft haben?
Das Thema Wohnen ist komplex und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Probleme groß. Es werden Studien verfasst, Manifeste geschrieben, Rechte eingefordert, gegen zu hohe Mieten protestiert, politische Maßnahmen verabschiedet – alles, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Wieso ist eine Ausstellung dafür das richtige Format?
Ursula Kleefisch-Jobst: Die Flut an Medienberichten und Publikationen zu dem Thema ist seit nun drei Jahren ungebrochen. Das zeugt davon, wie drängend das Problem für sehr viele Menschen in diesem Land ist. In dieser Fülle an Information stellt sich mit Recht die Frage, warum eine Ausstellung? Eine Ausstellung eröffnet die Möglichkeit, Themen in ihrer Komplexität plakativ und wie bei einem Puzzle in einzelnen kleinen Teilen aufzubereiten. Das macht auch schwierige Themen zugänglich. Beim Rundgang durch die Ausstellung setzt sich dann das gesamte Bild im Kopf des Besuchers zusammen. Der Einsatz von unterschiedlichen Medien wie Fotografien, Zeichnungen, Plänen, Audio und Videobeiträgen, längeren und kürzeren Texten, aber auch spielerischen Elemente tragen dazu bei, "unbemerkt" viele, oft unterschiedliche Information aufzunehmen.
Die Ausstellung "Alle wollen wohnen" kann das umfangreiche Thema nicht erschöpfend behandeln. Und das soll sie auch nicht. Sie soll vielmehr dazu anregen, sich je nach persönlichem Interesse mit dem einen oder anderen Aspekt zu beschäftigen. Fördern wollen wir vor allem die Diskussion zwischen Politikern, der Wohnungswirtschaft, Architekten, Stadtplanern, Bauherren und nicht zuletzt den Bewohnern – allen Akteuren des Wohnungsbaus.
Was sind aus Ihrer Sicht besonders vielversprechende neue Ansätze im geförderten und bezahlbaren Wohnungsbau?
Ursula Kleefisch-Jobst: Zu allererst, das Thema ist wieder auf der Agenda von Architekten und Stadtplanern und insbesondere auch der Politik, die Jahrzehnte den Wohnungsbau sich selbst und den Kräften Marktes überlassen hat. Bei den Neubauten ist der geförderte Wohnungsbau fast immer Teil einer neuen Quartiers- oder Stadtteilentwicklung. Dort entsteht freifinanzierter und geförderter Wohnungsbau nebeneinander und befördert so eine soziale und oftmals auch kulturelle Mischung. Die Querfinanzierung eröffnet dem geförderten Wohnungsbau neue Spielräume. So unterscheidet sich dieser manchmal gar nicht oder nur geringfügig in der Gestaltung von der des privaten Wohnungsbaus. Damit entfällt die äußere Stigmatisierung des sozialen Wohnungsbaus als „minderwertig“ wie auch die Stigmatisierung seiner Bewohner. In den neuen Quartieren entstehen zurzeit verstärkt soziale Einrichtungen wie Kitas, Bürgertreffs, ambulante Pflegedienste, öffentliche Kultureinrichtungen etc., die dem ganzen Quartier und seinen angrenzenden Wohnvierteln zugutekommen.
Im Bereich des bezahlbaren Wohnens erleben die Genossenschaften eine Renaissance und eine neue Bauherrenschaft ist hinzugekommen, die der Baugruppen. Hier schließen sich, wie bei den Genossenschaften, Menschen zusammen, die nicht nur die Vorteile des gemeinsamen Bauens nutzen, sondern auch in einer Gemeinschaft miteinander leben möchten. Das hat Auswirkungen auf neue Wohnkonzepte mit einer Vielzahl gemeinschaftlich zu nutzender Bereiche.
Die aktuelle Debatte um das bezahlbare Wohnen erinnert mich in vielem an die goldene Ära des sozialen Wohnungsbaus in den 1920er Jahren, wo qualitätsvolle und zukunftsweisende Lösungen für den Wohnungsbau realisiert worden sind.
Hinweis: Das Interview wurde für die Ausstellung in Essen (UNESCO-Welterbe Zollverein, 1.2. - 4.3.2018) aktualisiert.