„Die komplexe Realität des Wohnens“: Mies Award 2017 für Projekt „Kleiburg“ zu bezahlbarem Wohnraum
Die Jury für den "Mies van der Rohe Award 2017" hat unter Vorsitz des britischen Architekten Stephen Bates gleich zwei Wohnungsbauprojekte im Bereich des preiswerten Wohnens prämiert. Das hat es noch nie gegeben in der Geschichte des Preises, der seit 1988 alle zwei Jahre verliehen wird.
Der „Mies van der Rohe Award 2017“ wurde für die Sanierung der Kleiburg in Amsterdam durch die niederländischen Architekten NL Architects and XVW Architectuur vergeben. Das belgische Büro MSA/V+ erhielt den Nachwuchspreis Emerging Architects Prize Special Mention für einen sozialen Wohnungsbau im Norden von Brüssel.
Die diesjährige Entscheidung zeigt, dass der Preis nicht nur eine herausragende gestalterische Lösung prämiert, sondern auch ein Zeichen setzt für aktuelle Herausforderungen in der Architektur. Zurzeit ist dies unbestritten die Frage nach bezahlbarem Wohnraum für alle. Die 400 Meter lange Wohnzeile Kleiburg wurde 1962 von Siegfried Nassuth im Zusammenhang mit der Amsterdamer Stadterweiterung Bijlmeer geplant. Damals ein Vorzeigeprojekt des modernen Städtebaus bot sie der Eigentümer im Jahr 2012 für einen symbolischen Euro zum Verkauf an.
Vorzeigeprojekt Kleiburg drohte Abriss
Viele dieser Großprojekte aus den 1960er Jahren an den Stadträndern sind durch jahrzehntelange Vernachlässigung und einseitige soziale Belegungen in Verruf geraten. Bis vor kurzem drohte ihnen fast ausnahmslos der Abriss. Der aktuelle Mangel an bezahlbarem Wohnraum, aber eröffnet diesen Projekten auf einmal eine neue Chance: Sanierungskonzepte, die kosteneffizienter sind als der Abriss. Aus der Kleiburg machten die Architekten ein „Klusflat“: Das bedeutet, dass die Wohneinheiten entkernt wurden und ohne Bad, ohne Küche, ja ohne jegliche Raumeinteilung den zukünftigen Bewohnern zum Selbstausbau angeboten wurden. Die Architekten entwickelten einen Katalog aus Fenster-Tür-Kombinationen und Varianten für das Zusammenlegen von einzelnen Wohneinheiten. Unterschiedliche Wohnungsgrößen tragen den veränderten Wohnansprüchen und Lebensformen gegenüber den 1960er Jahren Rechnung. So Wohnungen konnten zum Niedrigpreis von 1.200 Euro pro Quadratmeter angeboten werden.
Bei der Sanierung der äußeren Hülle der langen Wohnzeile legten die Architekten viel Wert darauf die große Struktur des Komplexes mit seinen charakteristischen umlaufenden Balkonen zu erhalten und den großen Maßstab bewusst in Szenen zu setzen. Die geschlossenen Fassadenelemente wurden durch doppelverglaste Paneel ersetzt und bewirken nicht nur eine Leichtigkeit, der in der Tiefe der Balkone verschatteten Fassaden, sondern eröffnen auch Spielräume für einen sehr individuellen Umgang der Bewohner mit diesen Elementen.
Selbstausbau auch in Berlin
Die Chancen des Selbstausbaus, die nicht nur die Einstiegskosten reduzieren, sondern auch in Großstrukturen individuelle Entfaltungsmöglichkeiten anbieten und Hausgemeinschaften einen neuen Zusammenhalt ermöglichen, werden auch in Deutschland erprobt. So sollte das einst gefeierte 15-stöckige Wohnhochhaus am Berliner Kleistpark nach Plänen von Jürgen Sawade aus dem Jahre 1977 am Ende des Jahrhunderts abgerissen werden, denn von den 514 Wohnungen standen 136 leer, Tendenz steigend. Die Trägergesellschaft führte ein neues Verwaltungskonzept mit eigenständigen Entscheidungsmöglichkeiten der Bewohner zur Gestaltung der Mieterstruktur und wohnverbessernden Maßnahmen ein und eine eigene Handwerkerabteilung steht den Mietern zur Sanierung der Wohnung zur Seite. 2003 wurde das Gebäude grundlegend saniert. Aus dem Sozialpalast wurde das Pallasseum.
Die beiden Preisträgerprojekte des diesjährigen „Mies Award“ leisten zu diesem Thema einen wichtigen Beitrag. In diesem Sinne sagt auch Stephen Bates: „Sie spiegeln die derzeitige neue und komplexe Realität des Wohnens.“
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