In Köln-Sülz zeigt das Schweizer Architekturbüro Duplex wie Wohnquartiere noch diversifizierter und urbaner werden können. Der Baustellenbesuch unseres Autors Paul Andreas gibt einen Einblick in ein außergewöhnliches Bauvorhaben.
Das Schweizer Architekturbüro Duplex baut eine neue Wohnanlage in Köln-Sülz
Die Vielfalt des Wohnens steht seit einem Jahrzehnt auch in Deutschland hoch im Kurs: Um demografischen Alterungsentwicklungen, Single- und Patchwork-Haushalten, der Digitalisierung und dem Trend zum Homeoffice, aber auch multilokalem Wohnen und vielem mehr Rechnung zu tragen, werden landesweit in Metropolen wie auch zunehmend in Mittel- und Kleinstädten neue Wohnformen gefordert und gefördert.
Das Umdenken hat in den Kommunen, Genossenschaften und auch bei manchen Projektentwicklern begonnen – und doch hat man bei den am Ende realisierten Projekten oft den Eindruck, dass es (einige wenige Leuchtturmprojekte einmal außen vorgelassen) noch viel Luft nach oben gibt für diversifizierte, an den spezifischeren Bewohnerbedürfnissen ausgerichtete Grundrisse; viel Luft nach oben, aber auch für die Mehrwerte, die ein Wohnprojekt für Nachbarschaft und Quartier schaffen sollte.
Umso begrüßenswerter ist es, wenn die Diskussion in Deutschland einen Input aus der Schweiz bekommt, wo besonders in den vergangenen 15 Jahren in einer Reihe von genossenschaftlichen Wohnprojekten gezeigt wurde, wie hoch die Elle beim Wohnungsbau liegen kann: Das in Zürich begründete, mittlerweile auch in Düsseldorf, Hamburg und Paris mit Satelliten vertretene Architekturbüro Duplex (Wichtigstes Initialprojekt: Hunziker-Areal, Zürich) hat in Köln-Sülz eine Wohnanlage geplant, die eine nicht nur in Köln ungekannte Vielfalt an Wohnungstypen auf relativ kleinem Raum konzentriert. Das bis zum Jahresende 2022 fertiggestellte Projekt für die Wohnungsgenossenschaft Köln-Sülz eG ersetzt nahe der Uni-Klinik eine Blockrand-Wohnbebauung aus den 1920er-Jahren, die zur Bauzeit auf den Resten einer Ziegelei erbaut wurde und wegen zunehmend gravierenden Setzungsschäden komplett zurück gebaut werden musste.
Das im Rahmen der kompetitiven Entwurfswerkstatt „Zukunft Wohnen“ 2015 entwickelte und ausgewählte Projekt setzt sich aus vier Einzelhäusern zusammen, die den Blockrand entlang der Marsiliusstraße, Ecke Palanterstraße – wie zuvor – vollständig schließen. Die Bruttogeschossfläche wird durch die Neubauten um 70 Prozent erhöht – ohne dass das allerdings auf Kosten des großzügigen Innenhofes gehen würde, der vollständig erhalten wurde.
Ein ebenso breiter wie hoher Tordurchgang schafft dabei einen direkten Zugang zum Hof, der neben den verschiedenen Hauszugängen (sie erfolgen sowohl hof-als auch straßenseitig), Grün- und Spielflächen ein eingeschossiges Gemeinschaftshaus birgt. Aus dem verborgenen Hinterhof wird so ein öffentlicher Begegnungsort für die Bewohnerschaft und das umliegende Quartier. Autofrei versteht sich – die Zufahrt zu einer Tiefgarage erfolgt über die zweite Blockseite.
Die Einzelhäuser orientieren sich in ihrer Maßstäblichkeit und Körnung an dem Bestand der Nachbarschaft, durch Geschossbänder und unterschiedliche Fensterformate wird die Dreiteilung der Gebäude in Sockel, Fassade und Dach klar artikuliert – nicht immer identisch, sondern mit leichten Variationen getreu dem schöpferischen Gestaltungsprinzip des „same same but different“ (ein von den Architekten adaptiertes, auf den Straßenmärkten in Südostasien oft zitiertes Prinzip, das die nicht ganz lupenreine, variantenreiche Plagiatsproduktion von Branding-Produkten beschreiben soll).
Zudem sind die Gebäude farblich voneinander differenziert, so dass ihre Straßenfassaden auch zum belebenden äußeren Spiegelbild der verschiedenen Grundrisstypologien und Bewohnergruppen werden. Für eine Belebung der Erdgeschosszone sorgt außerdem ein im Eckhaus situiertes Café, das neben einem gastronomischen Angebot auch Waschmaschinen bereitstellt. Daneben gibt es hier auch Wohnungen, die einen direkt zugänglichen gewerblich nutzbaren Raum mit den Wohnräumen verbinden, also eine Verbindung von Wohnen und Arbeiten im Erdgeschoss bieten.
Besonders spannend wird es, wenn man sich die vier Einzelhäuser anschaut - und ein zuletzt dazu gekommenes Bestandshofgebäude im Hof, das noch seinen Umbau erwartet) – alles vor dem Hintergrund der Grundrisstypologien und thematischen Ausrichtung: Auf ein Haus für barrierefreies Wohnen folgt das Haus für Familienwohnen mit atmenden Grundrissen, bei denen sich die Einzelzonen flexibel wahlweise als Zimmer oder Teil des gemeinschaftlichen Wohnraumes nutzen lassen. Dem Mehrgenerationenwohnen wird im Eckgebäude das größte Gewicht in der Anlage eingeräumt: Es umfasst auf drei Etagen Großwohnungen für wechselnde Familienzusammensetzungen – eine größere Wohnung, die mit einem kleineren sogenannten „Stöckli“ (wie es bei den Schweizer Architekten heißt) verbunden ist. Was in der Schweiz traditionell ein separater, aber doch mit dem Haus verbundener Alterssitz ist, kann in Köln flexibel auch für Familienpatchwork, erwachsene Kinder, Pflegepersonal etc. genutzt werden. Beide Wohnungen sind dabei durch einen Durchgang miteinander verbunden, jede von ihnen besitzt zugleich aber einen eigenen Zugang.
Im Erdgeschoss des Eckgebäudes befinden sich neben dem Waschsalon-Café zudem die bereits erwähnten Gewerbe-Wohneinheiten. Das Dachgeschoss dieses Hauses wird von einer Reihe kleiner Studios mit Küchenzone und Bad bestimmt, die jeweils über eine übergeordnete Gemeinschaftsküche Zugang zu Gemeinschaft und Außenraum (Dachterrasse) bekommen. Das sich anschließende vierte, in die Tiefe des Hofes reichende Gebäude bietet dagegen Junges Wohnen: Kleinwohnungen für Singles und Paare entfalten sich hier entlang eines langgestreckten Erschließungskorridors. Das letzte Glied im Hof bildet der bereits erwähnte separierte gründerzeitliche Hofbestand, der künftig auf drei Etagen größere Atelierwohnungen bereitstellen wird.
Neben der Vielzahl unterschiedlicher Wohnungstypen fällt auf, wie die überwiegende Mehrzahl der Wohneinheiten sich zwischen den belichteten Straßenseiten und den großzügigen hofseitigen Loggien „aufspannt“, um bestmögliches Durchwohnen zu erreichen. Dabei entstehen gerade in den größeren Familienwohneinheiten spannungsreiche Blickachsen durch die Wohnungen. Zudem bewirken die über Eck geführten Loggien, dass mehrere Zimmer bzw. unterschiedliche Wohnzonen jeweils einen direkten Zugang zum Außenraum haben. Die Versprünge zwischen den einzelnen Baukörpern kommt ihnen dabei besonders zugute: So sind jeweils benachbarte Loggien vor gegenseitigen Einblicken geschützt und auch der Aussichtswinkel variiert vielfältig.
Wie ein roter Faden zieht sich das Thema von Isolieren einerseits und Überlagern/ Verschmelzen andererseits, von Individualität und Gemeinschaft als dialektisches System durch die Gestaltung – allumfassend von den Grundrisstypologien bis in die Gestaltung der Treppenhäuser und Details der Hausfassaden. „Gemeinschaft basiert auf Freiwilligkeit“, schreibt Anne Kaestle, eine der beiden Gründer*innen des Büros, dazu in der gerade frisch erschienenen Monografie des Büros „Duplex Architekten. Wohnungsbau neu Denken“.
„Die Qualität besteht in der Freiheit, jederzeit zwischen diesen beiden Polen hin- und herpendeln zu können.“ Wenn Architektur auf diese Art und Weise verfolgt wird, entstünden Orte mit „relationalem Potenzial (…), an denen die Verbindungen zwischen den Menschen auf ganz ungezwungene Art und Weise wie von selbst auftauchen“ (Ebenda, S. 83). Diesen theoretisch formulierten Anspruch findet man in Köln-Sülz überzeugend im Rahmen eines Bestandsquartiers konkretisiert – ab dem Jahresende voraussichtlich komplett fertiggestellt und für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich.
Weitere Zitate aus „Duplex Architekten. Wohnungsbau neu Denken“ (Ludovic Balland, Nele Deichmann (Hg.), Park Books, Zürich 2022).
„Wohnungssuchende sind wie Einsiedlerkrebse, die sich notgedrungen das überstülpen, was sie gerade so finden können. Komisch nur, dass wir diese Gehäuse, die wir ja selbst bauen, als gegeben ansehen.“ (S. 79)
„Nur dort wo im physischen Sinne ein Zwischenraum entsteht, können auch Menschen agieren, sich begegnen, Raum produzieren“ (S. 82)
„Ist es nicht toll, wenn die Architektur sogar ein Trainingsumfeld bietet für den Umgang miteinander?“ (S. 105)
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