Ausländische Architekten haben die westdeutsche Baukunst mitbestimmt. Die Ausstellung „Gesamtkunstwerke. Architektur von Arne Jacobsen und Otto Weitling in Deutschland“ zeigt noch bis 4.11.21 im Rathausfoyer in Castrop-Rauxel das Spätwerk der zwei Dänen. Ursula Kleefisch-Jobst über Einflüsse ausländischer Architekten auf deutsche Architektur.
„Ideen eines Dänen in Beton und Kunststoff“ - so lautete der Titel eines Beitrags über das neue Forum von Castrop-Rauxel im Vorwärts, Ausgabe Recklinghausen, vom 23.1.1975. Zu diesem Zeitpunkt war die neue Mitte der Stadt fast fertiggestellt. Ihr Architekt, der Däne Arne Jacobsen, war aber bereits seit vier Jahren verstorben. Vollendet wurde das Projekt von seinen Partnern Otto Weitling und Hans Dissing.
Skandinavische und niederländische Architekten bauen in Westdeutschland
In den 1970er-Jahren waren Bauwerke von „Ausländern“ in der Bundesrepublik noch eine Seltenheit. Genauso selten waren Wettbewerbe, noch dazu mit internationaler Beteiligung. 1966 lobte die Stadt Castrop-Rauxel den eingeschränkten Wettbewerb für die neue Stadtmitte aus. Internationaler Teilnehmer war neben Arne Jacobsen sein finnischer Kollege Alvar Aalto. Ende der 1950er- bis Mitte der 1970er Jahre waren es vor allem die skandinavischen Architekten, die in der Bundesrepublik zu Wettbewerben eingeladen wurden und prestigeträchtige öffentliche Aufträge erhielten. Allen voran Arne Jacobsen, der sich 1964 am Wettbewerb für das Rathaus in Essen beteiligte. Sein Entwurf wurde mit einem Ankauf honoriert. Nur drei Jahre später gewann er den Wettbewerb für das Rathaus in Mainz. Einstimmig fiel die Entscheidung für den ersten Platz und wurden mit stolzen 30.000 DM Preisgeld bedacht.
Alvar Aalto baute 1958 den 65 Meter hohen Wohnturm im Bremer Stadtteil Neue Vahr, der zur architektonischen Ikone dieses zwischen 1952 und 1962 für 30.000 Menschen angelegten Wohngebiets wurde. Das bedeutendste Bauwerk des Finnen in Deutschland aber befindet sich in Essen, das Aalto-Theater. Der Bau wurde erst posthum 1983 bis 1988 von dem Dortmunder Architekten Harald Deilmann realisiert, mit großem Respekt vor dem „berühmten und geschätzten Kollegen“.
Neben den Skandinaviern waren es in den 1960er- und 1970er-Jahren die Architekten aus den Niederlanden, die mit ihren Bauten die Entwicklung der Nachkriegsarchitektur in der jungen Bundesrepublik beeinflussten. So setzten sich 1957 in einem eingeschränkten Wettbewerb für das neue Rathaus in Marl die beiden Niederländer Johannes Hendrik van den Broek und Jacob Berend Bakema gegen ihre beiden skandinavischen Mitbewerber Alvar Aalto und Arne Jacobsen durch. Der Rheinische Merkur bezeichnete das Ensemble aus Hochhaustürmen und Flachbauten als das „kühnste und verwegenste Rathaus der Deutschen“. Viel Beachtung fand auch das kleine, dynamische Wohn- und Galeriehaus in der Düsseldorfer Altstadt, das sich der Galerist Alfred Schmela von Aldo van Eyck zwischen 1967 und 1971 erbauen ließ.
Eine „Nachhol-Lektion“
Aus heutiger Sicht ist es nur schwer nachvollziehbar, welche Bedeutung diese Bauwerke ausländischer Architekten in Deutschland gehabt haben. Für die Architektenschaft waren sie „lebendiges“ Anschauungsmaterial. Reisen in die Nachbarländer oder gar ins außereuropäische Ausland war nicht so einfach, nicht so bequem und so preiswert wie heute. Zwar brachten die beiden führenden deutschen Architekturzeitschriften – Bauwelt und Baumeister - schon bald nach Kriegsende wieder Ausgaben heraus, aber Bildmaterial und Berichte von Bauten im Ausland waren selten. Man konzentrierte sich auf die Aktivitäten im eigenen Land und beschrieb ausführlich die Projekte der ausländischen Kollegen. Diese detaillierten, sachlichen Beschreibungen sollten einen möglichst genauen Eindruck von den Bauwerken vermitteln
Die Naziherrschaft und der Zweite Weltkrieg hatten die deutsche Architekturszene von den modernen Entwicklungen in den europäischen Nachbarländern abgeschnitten. Die Protagonisten der Moderne wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Bruno Taut und viele andere verließen Deutschland und kehrten nicht zurück. Die jüngere Generation, die noch vor dem Krieg und teilweise im Krieg studierte hatte, suchte vor allem in den Wiederaufbaujahren der jungen Bundesrepublik nach Anregungen und neuen Vorbildern. Wolfgang Pehnt bezeichnete dies treffend als „Nachhol-Lektionen“ (Wolfgang Pehnt: Neue deutsche Architektur 3, Stuttgart 1970, Klappentext).
Der Artikel ist ein Textauszug aus dem Ausstellungskatalog „Gesamtkunstwerke – Architektur von Arne Jacobsen und Otto Weitling in Deutschland“. Weitere Informationen zum Katalog gibt es auf der Gesamtkunstwerke-Ausstellungsseite.
Das Museum für Architektur und Ingenieurkunst eröffnet am Dienstag, 30. Oktober, um 18 Uhr die Ausstellung Modern gedacht! Symbole der Nachkriegsarchitektur im Technischen Rathaus Bochum.
Eine zentrale Erwartung an zeitgemäße Architektur besteht aktuell darin, Räume zu entwickeln, die möglichst flexibel auf unterschiedliche Anforderungen und Nutzungen reagieren können. Nicht „Form follows function“, sondern „Form allows different functions“.
Er ist einer der bedeutenden Architekten der Nachkriegsmoderne in Deutschland: Harald Deilmann. Das Museum der Baukultur widmet ihm von 27. August bis 7. November 2021 eine Einzelausstellung im Baukunstarchiv NRW in Dortmund.
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