18.05.2022
Biennale der urbanen Landschaft
lala.ruhr veranstaltet von 10. bis 24. September 2022 die erste Biennale der urbanen Landschaft - ein Festival zur grünen Stadt der Zukunft. Baukultur NRW ergänzt das Programm als Kooperationpartner.
Das Ruhrgebiet zeigt eindrücklich, dass auch altindustrielle Regionen weder grau bleiben müssen noch für grüne Transformationsprozesse verloren sind. Darüber hinaus sind die Flächen heute repräsentative Gewerbestandorte.
Mit zwei geführten Bustouren zur ökologischen und ökonomischen Transformation von Industrieflächen im Ruhrgebiet unterstützte Baukultur NRW das Programm des dreitägigen Symposiums „Wenn Arbeit Stadt macht“ des Regionalverbands Ruhr (RVR) am 6. bis 8. November 2024 auf dem Gelände der Kokerei Hansa in Dortmund. Anlass des Symposiums zur Flächentransformation war das Jubiläum 25 Jahre Route Industriekultur. Insgesamt fanden vier Touren am letzten Tag der Veranstaltung statt; neben den Touren von Baukultur NRW ging es um die Transformation des Geländes der Kokerei Hansa sowie um kulturelle Transformation.
Die „ökologische Tour“ hatte ihren ersten Halt in Castrop-Rauxel, erste Station war der ERIN Park auf dem Areal der ehemaligen Zeche Erin. Geleitet wurde die Fahrt von Annika Stremmer und Fenna Tinnefeld vom Projekt „Grüne Städte und Regionen“ von Baukultur NRW.
Wo bis 1983 noch Steinkohle gefördert wurde, erstreckt sich in unmittelbarer Nähe zur Altstadt und direkt durch eine Brücke von Stefan Polónyi angebunden, ein ca. 40 ha großes Areal, auf dem Gewerbegebiet und ökologische Parkentwicklung Hand in Hand gehen. Im Zuge der IBA Emscher Park mit dem Konzept „Arbeiten im Park“ wurde die Fläche seit 1995 von der Landesentwicklungsgesellschaft NRW (LEG) und der IBA entwickelt, transformiert und ist ein gutes Beispiel dafür, wie schon in den 1990er JahrenSchwammstadtprinzipien mit der Entwicklung von Gewerbegebieten und Parkflächen verzahnt wurden.
Birgit Jakoby, Projektmanagerin für den ERIN Park von NRW Urban, erläuterte den Weg der ehemaligen Zeche zum grünen Gewerbegebiet. Besonders das Element Wasser spielt in der Umgestaltung eine besondere Rolle. Neben Schwammstadtelementen wie Mulden und Rigolen zur Entwässerung wurden auch zwei Rückhaltebecken angelegt; und durch die mehr als 50 Prozent Grünanteil der Fläche kann Niederschlagswasser direkt versickern. Dazu wurde ein Bachlauf, der das Gelände einmal quert, freigelegt und das (Ab-)Wassermanagement komplett modernisiert.
Die gewollt an eine irische Landschaft erinnernden Hügel sind aus aufgeschüttetem Bodenmaterial entstanden. So entsteht eine Verbindung zwischen dem ehemaligen Eigentümer (William Thomas Mulvany) mit irischen Wurzeln, dem Namen der Fläche (ERIN = Bezeichnung für Irland) und der vorzufindenden Landschaft.
Von Castrop-Rauxel aus ging es weiter nach Gelsenkirchen zum heutigen Wissenschaftspark und zum Industriewald auf dem ehemaligen Gebiet der Halde Rheinelbe. Wolfgang Jung, Geschäftsführer des Wissenschaftsparks Gelsenkirchen, erläuterte die Idee hinter dem Park. Auf der Fläche des ehemaligen Gussstahlwerks entstand unter dem Motto „Arbeiten im Park“ der Wissenschaftspark – das erste Großprojekt der Internationalen Bauausstellung Emscher Park.
Auch hier wurden neue Technologien mitgedacht und das einst weltweit größte Solarstromkraftwerk entstand auf dem Dach des Gebäudes. Heute beherbergt der Wissenschaftspark Unternehmen sowie Start-Ups und fungiert als Ort für Veranstaltungen und Ausstellungen. Die besondere architektonische Gestaltung wurde schon 1995 mit dem Deutschen Architekturpreis der Bundesarchitektenkammer ausgezeichnet.
Die Nähe zum Bahnhof, die städtebauliche Integration und die gläserne Fassade zeigen den Strukturwandel der Region deutlich und sollen Offenheit für den Fortschritt und die Menschen darstellen. Hierzu zählt auch der große Park, der als Freifläche inmitten der Gelsenkirchener Innenstadt öffentlich zur Verfügung steht und einen Kontrast zur vorherigen Nutzung der Fläche darstellt.
Wenige Gehminuten entfernt führte Förster Oliver Balke (Forst und Wald NRW) mit seiner Hündin Ayka die Gruppe in den Industriewald. Der Industrie-/ Skulpturenpark Rheinelbe ist etwas Besonderes: Nach der Stilllegung des Bergbaus wurde diese Fläche bewusst der Natur überlassen. Es wird keine Grünpflege (bis auf das Freihalten der Wege) betrieben, Totholz liegengelassen und somit eine hohe Artenvielfalt unterstützt.
Insgesamt ist der Wald mit seinen knapp 38 Hektar nicht besonders groß, doch ist er deutschlandweit einzigartig als Industriewald mitten in der Stadt. Wichtig ist er nicht nur zur Naherholung, sondern auch für die Umweltbildung: Kitas und Schulen aus dem Umfeld kommen regelmäßig in den Wald und lernen vor Ort, was ein Wald alles in sich birgt, was in ihm wächst und lebt, wie gut es tut, sich in ihm aufzuhalten und wie man mit ihm umzugehen hat.
Eine weitere Besonderheit stellen die Skulpturen von Herman Prigann dar, die zwischen, Bäumen, Ästen und Laub fast schon verwunschen auftauchen und zum Nachdenken anregen.
Im Anschluss ging es quer durch Gelsenkirchen zur ehemaligen Zeche Hugo. Empfangen wurde die Gruppe von verschiedenen Fachleuten: dem Architekten Nils Michael (von Schramp&Michael Architekten), Ralf Turowski, dem aktuellen Eigentümer der ehemaligen Waschkaue sowie Vertretern der Stadt Gelsenkirchen. Turowski führte eingangs durch die seit zwei Dekaden leerstehende Waschkaue und veranschaulichte dabei die ehemaligen Arbeitsabläufe während des Zechenbetriebs.
Sebastian Convent von der Stadt Gelsenkirchen (Referat Umwelt) zeigte anschließend die Außenanlagen des Geländes. Auch auf dieser Fläche überwiegt der unversiegelte Grünanteil, für das Betreiben des Biomasseparks mit auf der Fläche angebautem Material reicht der Ertrag allerdings nicht aus. Die Gemeinschaftsgärten, der Naschgarten und das „Grünlabor Hugo“ (ein Ort zur Umweltbildung auf dem Gelände) in unmittelbarer Nähe zur angrenzenden Siedlung erfreuen sich großer Beliebtheit.
Zudem gibt es Pläne, auf dem Areal der ehemaligen Zeche Hugo, ein Technologie- und Innovationsquartier zu entwickeln, welches Platz für Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Start-Ups bietet. Für die große Halle der ehemaligen Waschkaue - von denselben Architekten wie die Hallen der Zeche Zollverein – gibt es bereits Ideen, was schlussendlich passieren wird, ist momentan jedoch noch unklar.
Alle drei besuchten Standorte zeigen schon früh, dass Gewerbegebiete und eine klimaangepasste Gestaltung mit möglichst wenig versiegelter Fläche sich nicht ausschließen müssen. Auch aktuell im Zuge des Klimawandels ist die Bedeutung von Gewerbegebieten als Flächeneinheit in der Stadtentwicklung von enormer Bedeutung: ca. 18 Prozent der besiedelten Fläche unserer Städte sind Gewerbegebiete und meist hoch versiegelt. Dies macht sie zu besonders wichtigen Flächen für die klimagerechte Stadtgestaltung.
Die zweite Tour von Baukultur NRW, begleitet von Peter Köddermann, legte den Fokus auf die ökonomische Veränderung von Industrieflächen und führte die Gruppe nach Herne zum zukünftigen Funkenberg Quartier, nach Dortmund zum Areal Phoenix West und zum Welterbe Zollverein in Essen.
In Herne stellten Achim Wixforth, Fachbereichsleiter Umwelt und Planung der Stadt Herne, und Maurice Schirmer, Geschäftsführer der Funkenbergquartier-Entwicklungsgesellschaft, das Projekt vor. Auf der 12 Hektar großen Fläche eines ehemaligen Industrieareals soll nördlich des Bahnhofs eine Neuausrichtung der Stadt vollzogen werden. Dazu tragen die Ansiedlung der Hochschule für Polizei und Verwaltung, dem Transformationszentrum für Georessourcen und Ökologie sowie Unternehmen aus den Bereichen Technik, Bildung, Forschung und Entwicklung bei. Ergänzt wird das Konzept durch Wohnungsbau, aber auch Kultureinrichtungen und Gastronomie. Geplant ist die Fertigstellung des Hochbaus im Jahr 2031.
Den Schritt der Realisierung hat das Gebiet Phoenix Westin Dortmund-Hörde bereits hinter sich. Im Technologie-Zentrum Dortmund erläuterte Dirk Stürmer, Vorsitzender der Geschäftsführung des Technologie-Zentrums, die Geschichte des Industrieareals und dessen Wandel nach 2000 zum Gewerbegebiet. Wo früher ein Hochofenwerk und Felder lagen, befindet sich nun ein Technologiepark mit Firmen aus IT, Produktionstechnologie sowie Mikro- und Nanotechnologie, aber auch aus dem Dienstleistungssektor.
Inzwischen haben sich dort 119 Unternehmen angesiedelt, z.B. Amprion oder die Bergmann Brauerei, auch das digitale Kunstzentrum Phoenix des Lumières liegt dort. Insgesamt arbeiten rund 5.700 Beschäftigte in Phoenix West, zählt man den Phoenix See im Osten dazu, steigt die Zahl auf 379 Unternehmen und rund 10.000 Beschäftigte. Stürmer wies neben der großen Bedeutung für die Dortmunder Wirtschaft auch auf den Faktor des Areals für die Naherholung und Freizeitnutzung hin.
Letzte Station der Tour war die ehemalige Zeche Zollverein in Essen. Die Herausforderungen dort sind noch einmal anders, wie Dr. Helena Lischka, Leiterin Strategische Standortentwicklung, darstellte. Die Zeche und Kokerei Zollverein stehen auf einer Fläche von rund 100 ha als Monument der Industriekultur, als Symbol für den Wandel der einst größten Steinkohlenzeche der Welt zu einem attraktiven Standort und UNESCO-Weltkulturerbe für Kultur und Freizeit, Bildung und Wirtschaft sowie Tourismus. Neben dem Angebot des Ruhrmuseums sowie wechselnden Ausstellungen stellt die Stiftung Zollverein auch weitere Nutzungen zur Verfügung, wie z.B. für Veranstaltungen, Tagungen und Präsentationen.
Darüber hinaus haben sich mit Blick auf die Wirtschaft mehr als 150 Unternehmen aus der Kreativ-, Innovations- und Digitalwirtschaft angesiedelt. Einen weiteren Eckpunkt stellt die Folkwang Universität der Künste (Fachbereich Gestaltung) im SANAA-Gebäude dar. Neben der Pflege des gesamten Areals samt Instandhaltung der Industriebauten spielt die weitere Anbindung an den Stadtteil Stoppenberg im Essener Norden sowie die Einbindung der Anwohnerschaft eine wichtige Rolle für die Weiterentwicklung des Geländes.
Ähnlich wie bei den ökologisch transformierten Flächen spielt bei den eher ökonomisch fokussierten Flächen auch eine Mischnutzung eine zentrale Rolle. Es gibt nicht nur Arbeiten oder Freizeit oder Wohnen, vielmehr ergänzen sie sich, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung und Ausrichtung. Alle drei Areale weisen außerdem stadträumliche Bezüge auf und sind nicht losgelöst von ihrer Umgebung weiterzuentwickeln. Sie sind nicht separat und außerhalb der Stadt gelegen – im Gegenteil: Entweder liegen sie in einem Quartier, sind an eines Herangewachsen oder haben es selbst mit befördert.
Dem Thema Gewerbegebiete und ihrer Nutzung widmet sich auch der Baukultur-NRW-Podcast „Grüne Städte und Regionen“ mit einer zweiteiligen Sonderfolge: Darin sprechen Annika Stremmer und Fenna Tinnefeld mit dem Wirtschaftsförderer Rasmus Beck und dem Architekten Stefan Werrer über die Anforderungen und Potenziale von Gewerbegebieten in der Stadtentwicklung und im Angesicht des Klimawandels.