Wohnen einmal anders! Neue
Wohnkonzepte für vielfältige Lebensmodelle
Die Open-Air-Ausstellung „Wohnen einmal anders!“ stellt vorbildliche und qualitätsvoll realisierte Wohnprojekte aus dem Inland und Ausland vor. Sie zeigen, wie eine sich verändernde Gesellschaft nach neuen Wohnkonzepten verlangt, die unser Leben bereichern.
WOHNEN EINMAL ANDERS! Open-Air-Ausstellung zu neuen Wohnkonzepten
Wenn Immobilienportale im Internet ihre Nutzer danach fragen, wie sie wohnen wollen, fragen sie nach „Haus, Etagen-Wohnung oder Loft? Penthouse oder Maisonette?“. Baukultur Nordrhein-Westfalen geht einen anderen Weg: In der aktuellen Ausstellung „Wohnen einmal anders! Neue Wohnkonzepte für vielfältige Lebensmodelle“ werden weniger die bekannten baulichen Strukturen, als Nutzungskonzepte thematisiert. Die Open-Air-Ausstellung wird vom 14.9. bis 14.10.2021 in Bielefeld auf dem Kesselbrink präsentiert. Sie zeigt dabei, wie die Ansprüche an Wohnqualität an einen vielfältigen und flexiblen Mix von Nutzungen und Funktionen gebunden sind, der sich wiederum in den Gebäuden und der gestalteten Umwelt räumlich und auch architektonisch artikuliert.
20 zeitgenössischen Wohnkonzepte auf dem Kesselbrink
In zwei temporären Pavillon-Architekturen aus Holz wird eine Auswahl von über 20 Wohnarchitekturen vorgestellt. Diese tragen alle dem Wandel der Rahmenbedingungen des Wohnens Rechnung, antworten auf demografische, soziale und wirtschaftliche Veränderungen wie Alterung, Patchworkfamilie und veränderte Erwerbsbiografien. Ein besonderer Wert wurde bei der Auswahl gelegt, Projekte vorzustellen, die sich im Kontext von Mittel- und Kleinstädten und dem ländlichen Raum verorten. Der langjährigen Fokussierung der Diskussion auf die Metropolräume wird in der Ausstellung bewusst mit einer regionalen Schärfung des Blicks begegnet. Nutzungs- und Raumkonzepte, die für den urbanen Raum entwickelt wurden, bedürfen einer entsprechenden Übersetzung in den Kontext kleinerer Bevölkerungs- und Siedlungszusammenhänge. Gerade in Kleinstädten und Dörfern geht es darum, die zeitgenössischen Wohnkonzepte im Zusammenhang der jahrhundertealten, oft ortsbild- und identitätsprägenden Baukultur zu denken.
Ortsspezifische Bau- und individuelle Wohnkultur
Die Ausstellung ist Teil des Projektes Regionale Wohnkultur NRW. In dem Projekt untersucht Baukultur Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Partnern das Thema Wohnen in Nordrhein-Westfalen und fragt dabei nach Qualitäten für das Wohnen in der Region. Ein Kooperationspartner der Ausstellung ist die OstWestfalenLippe GmbH. Sie richtet das NRW-Strukturentwicklungsprogramm REGIONALE 2022 unter der Überschrift „UrbanLand“ aus. Ziel ist es, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land über innovative und modellhafte Projekte zu stärken. Sie geben Antworten auf die Frage, wie wir in Zukunft leben, wohnen, arbeiten, uns fortbewegen und unsere Freizeit gestalten wollen.
Die Vielfalt des Wohnens: drei Themen - drei Beispiele
In der Ausstellung werden gezielt eine Reihe von Themen fokussiert, die anhand von mehreren Best-Practice-Beispielen der letzten Jahre veranschaulicht werden. Die Ausstellung beginnt beim Thema Ausbauhaus, reicht über gemeinschaftliche, genossenschaftliche und generationsübergreifend inklusive Wohnformen bis hin zur Umnutzung und dem Umbau alter Bausubstanz.
Im Folgenden seien dreiThemenschwerpunkte - Pars pro Toto – besonders herausgegriffen und an Einzelbeispielen kurz veranschaulicht:
1. Familienwohnen
In Deutschland gehört der Bau eines Eigenheimes zu den größten Wünschen, die sich eine Familie erfüllen möchte. Das freistehende Einfamilienhaus mit Garten ist insbesondere für junge Familien eine beliebte Form des Zuhauses, da es größtmögliche Individualität zulässt. Aber auch etwas dichtere Typologien wie das Doppelhaus oder das Reihenhaus erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Die Liebe der Deutschen zu Einfamilien-, Reihen- und Doppelhaus – das ergab eine Studie des Instituts für Wirtschaft (IW), Köln vor einigen Monaten – ist unabhängig davon, ob die Menschen auf dem Land oder in der Stadt wohnen, auch unabhängig von Alter und Geschlecht. Vor dem Hintergrund immer knapper werdender Flächen- und Materialressourcen, aber auch immer rasanter steigender Baukosten ist das Einfamilienhaus allerdings neu zu denken – mehr eingebunden in einen städtebaulichen Gesamtplan und bautechnisch ökologisch neue Möglichkeiten ausschöpfend.
Zum Beispiel Marienhof in Leutkirch / GMS Architekten, Isny
Sechs Familien erwarben von der Stadt Leutkirch in Allgäu den nicht mehr bewirtschafteten Marienhof in Ortsrandlage. Unter Beibehaltung des alten Stallgebäudes wurde ein gemeinschaftliches Wohnbauprojekt inklusive der Erschließung und Parzellierung des Grundstückes umgesetzt. Oberstes Ziel war es dabei, eine gemeinsam getragene Gestaltung der Wohnanlage zu finden bis hin zu den Außenanlagen. Schon in der Frühphase des Projektes wurde darauf geachtet, dass alle Einheiten so um den zentralen Hof platziert werden, dass sie ausreichend Sonnenlicht und Bergsicht bekommen. Die Garagen sind so in die Häuser integriert, dass die Garagentore unauffällig in den Fassaden verschwinden. Die Freianlagen sind durch durchgängige Grünflächen mit Heckenpollern, Pflanzbeeten und über 30 neu angepflanzten Obstbäumen geprägt. Um den Hofbrunnen als zentralem, gemeinschaftlichen Treffpunkt ist eine funktionierende Nachbarschaft der „Marienhöfler“ entstanden. Der ländliche Ort wurde in der neuen Wohnnutzung bewahrt.
2. Wohnen und Arbeiten
Im 19. Jahrhundert war eine enge Verknüpfung von Wohn– und Arbeitsraum selbstverständlich. Erst mit der Industrialisierung und nochmals verstärkt durch Bestrebungen seit den 1920er-Jahren, moderne funktional gegliederte Städte zu schaffen, wurden diese beiden Bereiche des Lebens immer weiter getrennt. Die Konsequenzen liegen auf der Hand - von den Pendlerströmen, nicht bewohnten und daher nach Geschäftsschluss überwiegend verwaisten Innenstädten und anderseits auch weitgehend seelenlosen Schlafstädten. Eine enge Verknüpfung von Wohnen und Arbeiten kann viele Vorteile bieten und wird zunehmend auch ein immer wichtigeres Argument, wenn es darum geht, Mitarbeiter zu gewinnen. So können Modelle für Mitarbeiterwohnen durch Kooperation von Wirtschaft und Wohnungsunternehmen ein Ansatz zur regionalen Stärkung sein.
Zum Beispiel Wohn- und Werkhaus in Schwaikheim / schleicher.ragaller, Stuttgart mit CAPE, Schwäbisch-Hall
Auf einem Baugrundstück mit maroden landwirtschaftlichen Gebäuden, die abgebrochen werden mussten, wollte die Bauherrenfamilie nicht nur für sich, sondern auch für andere zeitgemäßen Wohnraum schaffen, wie er in der Region Stuttgart sehr dringend benötigt wird. Dabei sollte an örtliche Traditionen angeknüpft und das nachhaltige Material Holz genutzt werden, zumal der Bauherr ausgebildeter Zimmermann ist. Aus dieser Haltung heraus entstand ein dreigeschossiges Mehrfamilienhaus, das um eine Einstellhalle ergänzt wurde, die für die nach wie vor im Nebenerwerb betriebene Landwirtschaft benötigt wird. So verbindet das Ensemble mit den beiden im Schnitt identischen, aber unterschiedlich hohen und langen Gebäuden Wohnen und Arbeiten und sorgt zugleich für eine Belebung des Ortskerns: Vor allem abends und am Wochenende verwandelt er sich in einen Ort des informellen Zusammentreffens und des Austauschs. Die dunkel gestrichene, als Brettholzstapelwand ausgeführte Holzfassade und der grob geschalte Sichtbeton greifen dabei Motive aus der Umgebung und des Vorgängerbaus auf. Das Wohngebäude umfasst sechs Wohneinheiten unterschiedlicher Größe (75 - 99 m²), die jeweils über einen offenen Wohnbereich, zwei bis vier daran angeschlossene, flexibel nutzbare Individualräume und eine Loggia als geschützten Außenbereich verfügen.
3. Im Quartier
Wie lassen sich Neubauten respektvoll in bestehende, traditionsreiche Ortskerne integrieren? Wie können die neuen Gebäude den Ortscharakter stärken und positiv beeinflussen? Oftmals sieht man in Klein- und Mittelstädten wie auch Dörfern eine standardisierte Neubauarchitektur, die zum Teil aus großstädtischen Kontexten übernommen wurde oder eben dem Standard des jeweiligen Wohnungsbauunternehmens entspricht: Eine technisch vielleicht solide, und doch gleichförmige Architektur mit wenig Potenzial einen Ort neu zu prägen, ist leider oftmals das Ergebnis. In den letzten Jahren hat sich auch in der Architektur wieder eine Tendenz entwickelt, den jeweiligen Ortscharakter als Chance und Herausforderung zu begreifen. Neubauten sollten eine angemessene Nutzung ermöglichen, in ihrer Gestaltung aber eine individuelle Architektur schaffen, die den „Genius Loci“ – den Geist des Ortes – einzufangen und weiter zu entwickeln versteht.
Zum Beispiel Wohnen am Verna-Park in Rüsselsheim / Baur & Latsch Architekten, München
Bezahlbares Wohnen mit Ortsanpassung und Bezug zum Bestand bieten die sieben Einzelhäuser, die auf einer schmalen innerstädtischen Brache nahe des Verna-Parks entstanden sind. Die Körnung der Neubauten orientiert sich dabei an den benachbarten Hofstrukturen. Indem an die jeweils westlich und östlich angrenzenden Brandwände angebaut wurde, entsteht eine Raumsequenz, die in ihrem Schwerpunkt einen gemeinschaftlichen Platz beherbergt. Zugleich sind die hinzugefügten Baukörper situativ modelliert: Rücksprünge reagieren auf Nachbargebäude, die erdgeschossigen Eingangsbauten zitieren die Tradition des Anbauens in der bestehenden Struktur und bilden halböffentliche Hofsituationen aus. In den Klinkerfassaden knüpfen die Neubauten an die Mauern und Fassaden des nahegelegenen Opel-Altwerkes an sowie der kleinen Backstein-Einzelhäuser, die um 1900 für Opel-Mitarbeiter in einer dichten Struktur aus kleinen Stadtblöcken errichtet wurden. Kommunikative Freiräume und private Rückzugsräume ermöglichen ein gemeinschaftliches und angenehmes Wohnen in einer hohen Dichte. Das übliche Muster von klar abgegrenzten privaten und öffentlichen Bereichen wird dabei aufgelöst. Eine Tiefgarage hält die Siedlung konsequent von motorisiertem Verkehr frei.
Die Ausstellung „WOHNEN EINMAL ANDERS!“
Ein Projekt von Baukultur Nordrhein-Westfalen mit der Unterstützung von REGIONALE 2022, UrbanLand OstWestfalenLippe und der Stadt Bielefeld.
Karen Jung und Paul Andreas durchstreifen das Bergische Land. In ihrer Reportage begeben sie sich auf die Suche nach der regionalen Wohnkultur zwischen Identität und Geschichte, Geografie, Wirtschaft und Architektur.
Die Region im Blick: Der Raum- und Stadtplaner Michael Isselmann spricht im Interview über die entscheidenen Maßnahmen, attraktiven Wohnraum zu schaffen und die Bedeutung über Stadtgrenzen hinaus zu denken und zu planen.
Mit dem Baukultursymposium „Ländliche Urbanität“ griff der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Anfang November das Thema des neuen Wohnens in Klein- und Mittelstädten in Westfalen-Lippe auf. Unser Autor Paul Andreas gibt einen Einblick.
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