Foto: Filip Dujardin.

Architektur für
psychische Gesundheit –
das PC Caritas in Melle

Die Ausstellung zum Mies van der Rohe Award 2019 zeigt herausragende Architekturen der vergangenen zwei Jahre: Wir stellen in einer Blogserie die Gewinner und Finalisten vor. Diese Woche: die außergewöhnliche Umnutzung des PC Caritas im belgischen Melle.

Ein klinischer, steriler, geschlossener Raum mit künstlichem Licht – so stellt man sich meist eine Psychiatrie vor. Das Caritas psychiatric center im belgischen Melle verfolgt einen anderen Ansatz. 1908 entstand in der Gemeinde bei Gent ein Gebäudeensemble umgeben von Grünflächen für die Genesung psychisch erkrankter Menschen. Die einzelnen Pavillons beheimateten jeweils unterschiedliche Bereiche der psychiatrischen Gesundheitsfürsorge. In dieser Form der Architektur spiegelte sich die fortschrittliche Behandlung des Themas Anfang des 20. Jahrhunderts. Nach und nach wurden die Gebäude jedoch abgetragen und durch die heute gängigen Krankenhausgebäude ersetzt. Der Direktor der Einrichtung, Hermann Roose, setzte gemeinsam mit dem Architekturbüro de Vylder Vinck Taillieu (dVVT) den Erhalt eines der ursprünglichen Gebäude durch. Das Ergebnis schaffte es zu Recht unter die Finalisten des Mies van der Rohe Awards 2019.

Ungewöhnliche Umnutzung mit Symbolwert

Als Jan de Vylder und seine Kolleg*innen das Gebäude auffanden, war es zum Teil abgetragen. Es hatte kein Dach mehr, Wände waren eingerissen, die Fenster nicht mehr verglast. Das nutzten die Architekten jedoch für sich: Sie beließen vieles, wie es war; auf eine Komplettsanierung wurde verzichtet. Das Dach blieb offen, geschlossene Fenster und Türen sucht man vergebens, wodurch ein Raum zwischen Innen und Außen entstand. Der Boden wird mit Kies bedeckt, sodass der Regen versickern kann. Des Weiteren wird ein Baum gepflanzt, eine offene Feuerstelle installiert. Natürliches Licht strahlt tagsüber durch die vielen Öffnungen. Verglaste Gewächshäuser werden im Gebäude platziert und dienen als wettergeschützte Aufenthaltsorte. Gestützt wird das Gebäude durch eine neue, grün gestrichene Stahlkonstruktion. Das bis auf sein Skelett entblößte, teils ruinerte, teils sanierte Gebäude mit neuen Bauelementen erzeugt in der Wahrnehmung eine Ambivalenz aus Melancholie und Geborgenheit. Selten ist ein Gebäude in seiner Form so symbolisch für die darin stattfinden Inhalte zu lesen. Eine offen gelegte Wunde, unabdinglich für den Heilungsprozess, wurde hier verarztet. Zurück blieben Narben, die offen gezeigt würden. Der Anblick schmerze und tröste zugleich, beschreibt Doris Kleilein in der Bauwelt.[1]

Foto: Filip Dujardin.
Foto: Filip Dujardin.

Veränderung am Bau ist gewollt

Ähnlich wie auch bei anderen Finalisten des Mies van der Rohe Awards 2019, zum Beispiel bei dem Lobe Block Terrassenhaus in Berlin, wird auch hier auf eine flexible und nachhaltige Nutzung gesetzt sowie eine maximale Freiheit derselben angestrebt. Eine Veränderung ist gewollt und wird gleich mitartikuliert und -kalkuliert. DVVT nimmt an, dass die gesellschaftlichen Bedürfnisse der nachfolgenden Generationen nur bedingt vorausgesehen werden können. Deswegen soll auch das PC-Caritas-Gebäude, das bereits über ein Jahrhundert steht, nicht in Funktion und Form festgelegt werden, sondern als experimenteller Raum erschlossen werden. Diese Ehrlichkeit und Transparenz ist außergewöhnlich und deswegen auch etwas so radikal Neues – und vielleicht auch Erstrebenswertes.

Umbau statt Abriss

Ungewöhnlich ist auch die Tatsache, dass nicht abgerissen, sondern umgebaut worden ist. Diese Variante ist die vermeintlich teurere, weshalb bei anderen Bauprojekten weiterhin fleißig abgerissen und neu gebaut wird. In dieser Rechnung wird jedoch selten der Wert der grauen Energie einkalkuliert. Darunter versteht man die gesamte Energie, die zur Errichtung des Gebäudes notwendig ist. Beim Abtragen wird außerdem Müll produziert – und das nicht wenig. Der Bausektor verursacht aktuell 50 Prozent des weltweiten Abfalls.[2] Abgesehen vom ökologischen und historischen Wert des Gebäudes, spielt dabei auch die emotionale Verbindung der Menschen, die es kennen und nutzen, eine Rolle. Melles Bürger*innen waren aufgrund des geplanten Abrisses sehr frustriert, erklärt Hermann Roose. Sie alle erzählten Geschichten, die sie mit dem Gebäude verbanden. 

Foto: Filip Dujardin.
Foto: Filip Dujardin.

Kreative Nutzung abseits des Standards

Bis heute sind die Nutzer*innen und Besucher*innen nicht selten überfordert mit der Freiheit, die das Gebäude bietet. Aber genau das war es, was dVVT erreichen wollte: Die Herstellung einer Offenheit – im Gegensatz zu den sonst so strikt organisierten Klinikgebäuden. PC Caritas gibt seinen Nutzer*innen und Besucher*innen die Möglichkeit, kreativ zu werden und sich abseits von standardisierten Räumen zu bewegen und zu handeln.

[1] Kleilein, Doris: „Psychiatrie in Gent“ unter https://www.bauwelt.de/themen/bauten/Psychiatrie-Gent-De-Vylder-Vinck-Taillieu-Architektur-Grundrisse-3159681.html (abgerufen am 5.11.2020)

[2] Weissmüller, Laura: „Bis auf die Knochen“, unter https://www.sueddeutsche.de/kultur/architektur-bis-auf-die-knochen-1.4230739 (abgerufen am 5.11.2020)

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