01.07.2024
Der Wert der Baustoffe
Im Sommersemester 2024 sind Bauingenieurstudierende der FH Münster mit dem IWARU-Institut im UmBauLabor. Sie dokumentieren die verbauten Bauteile und Materialien und werten die Ergebnisse in einer Ökobilanz aus.
Wie viel Wert steckt in diesem Haus? – unter dieser Leitfrage fand Anfang September die erste Summer School im UmBauLabor in Gelsenkirchen statt. 29 junge Landschaftsarchitekt*innen, Architekt*innen, Stadtplaner*innen, Bauzeichner*innen, Fotograf*innen und Abiturient*innen beschäftigten sich eine Woche lang mit verschiedenen Themen und Fragestellungen rund um den Wert von und den Umgang mit Bestandsgebäuden.
Denn um künftig Ressourcen zu sparen und den CO2-Ausstoß zu minimieren, müssen wir dringend lernen, sinnvoll mit bestehenden älteren Gebäuden umzugehen und deren Wert für eine lebenswerte Stadt (an)zuerkennen. Welche Werte stecken – außer dem rein ökonomischen Wert – noch in einem vermeintlich abrissreifen Gebäude und wie können diese in die Berechnung der Gesamtwertigkeit einfließen? Wie lassen sich mit cleveren und günstigen Anpassungen und Umbauten neue Werte schaffen? Welche Nutzungen sind denkbar und für die Verknüpfung im Quartier sinnvoll? Wie lassen sich Gebäude und ihre Außenflächen an das sich wandelnde Klima anpassen und klimaresilient gestalten?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich auch das Fokusthema „Grüne Städte und Regionen“ von Baukultur NRW. Vor allem die Themen kreislaufgerechtes und ressourcenschonendes Bauen, Emissionseinsparungen und das Wiederverwenden von Materialien bilden eine ganze Bandbreite an Anknüpfungspunkten ab.
Das Team von Grüne Städte und Regionen unterstützte daher während der Summer School eine Gruppe, die sich mit der Frage beschäftigt hat: „Wie viel Wert steckt in den Außenflächen dieses Gebäudes?“. Auf den ersten Blick scheint dieser Wert schwierig zu fassen sein, denn Außenflächen sind ein häufig vergessener Teil von Bestandsgebäuden. Im UmBauLabor sollten die Studierenden herausfinden, was aus dem engen, teilüberdachten und vollständig versiegelten Innenhof mit verschachtelten Teilräumen und einer innen liegenden Durchfahrt zur Straße herauszuholen ist.
Dass in den Räumen und auf den Flächen im UmBauLabor sogar eine ganze Menge möglich ist und verschiedenste Werte und Qualitäten freigesetzt werden können, zeigten die Studierenden in wenigen Tagen eindrucksvoll.
Die Potenziale der Außenflächen unterstrich auch Ute Aufmkolk, Professorin für Landschaftsarchitektur an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL) in Höxter, in ihrem Impuls-Vortrag. Dort stellte sie heraus, dass gerade auch Innenhöfe im Hinblick auf urbane Hitze, Verschattung und den Umgang mit hohen Niederschlagsmengen wichtige ökologische Funktionen übernehmen können.
Die Aufgabe für die Studierenden lautete daher, ein Konzept mit mehr Grün für einen Teil des Außenbereichs des UmBauLabors zu entwerfen. Dabei sollten sie die Leitfrage berücksichtigen: „Wie nutze ich Schwammstadt-Prinzipien zur Klimafolgenregulierung und/oder zum Klimaschutz auf der versiegelten Innenhoffläche und am bestehenden Gebäude?“ Gemeinsam mit ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Lars Winking von der TH OWL betreute und unterstützte Professorin Ute Aufmkolk die Gruppe dabei, Lösungsansätze zu entwickeln.
Am Montag und Dienstag starteten die Teilnehmenden mit ersten theoretischen Überlegungen, Diskussionen und Skizzen. Das Ziel war klar: Die Aufenthaltsqualität im Innenhof soll gesteigert, Grün gepflanzt und Sitzmöbel gebaut werden. Diese Idee wuchs heraus aus einem Rundgang durch das Quartier; danach war sich die Gruppe einig: Ückendorf braucht vor allem einen ruhigen Ort zum Verweilen. Ihr Konzept enthielt dementsprechend ebenfalls neue Grünflächen, die einerseits durch die Entsiegelung des Bodens und andererseits durch Pflanzkübel entstehen sollten. Außerdem entwickelten sie weitere zukünftige Nutzungsideen für die angrenzenden, halb offenen Räume, wie z. B. ein Café oder eine Bar.
Ab Mittwoch wurde ein Großteil dieser Ideen in die Praxis umgesetzt. Dabei verfolgten die Studierenden das Ziel, nichts Neues zu kaufen, sondern möglichst nur gebrauchte Materialien (wieder) zu verwenden – entweder aus dem UmBauLabor oder aus dem Quartier. Nichts geht verloren.
In drei Tagen wurde eine Menge bewegt: Der Boden wurde entsiegelt und neu bepflanzt, eine Fassadenbegrünung aus einem Federnskelett einer alten Matratze angebracht, neue Sitzgruppen geschaffen und mobile Beete aus teils skurrilen Materialien wie einem Waschtisch, einer Schublade und einem Regal gebaut.
Am Ende wurden – außer ein wenig frischer Erde zur Nährstoffanreicherung – keine neuen Materialien benötigt. Selbst die verwendeten Pflanzen konnten von einer Brachfläche „gerettet“ werden; der Aushub der Entsiegelung konnte als Schotterbeet und Drainageschicht wiederverwendet werden, Fundstücke aus dem Haus wurden als Ausstellungsstücke, Pflanzkübeln oder im Möbelbau verwendet. Andere Möbel wurden ebenfalls aus dem Sperrmüll der Nachbarschaft gerettet.
Zur Abschlusspräsentation am Samstag war der entstandene „Artium-Garten“ im Hinterhof sicht- und erlebbar – und wurde von den Studierenden, von der Nachbarschaft und den Besucher*innen aus Ückendorf sehr gern angenommen.
Auch die Teilnehmenden zeigten sich am Ende einer intensiven Woche zufrieden und konnten auf eine interessante Woche zurückblicken. Neben neuen Kontakten, Denkanstößen und handwerklichen Erfahrungen nehmen sie Mut und Optimismus mit auf ihren weiteren Weg in der (Landschafts-)Architektur, der Stadt- oder Raumplanung
„Ich möchte in Zukunft mehr Wert auf Ressourcen und das Wiederverwenden von Materialien legen.“ (Dominik, Studierender der Landschaftsarchitektur)
„Ich fand es toll, ins Machen zu kommen und schon mit kleinen Maßnahmen etwas zu erreichen.“ (Magnus, Studierender des Städtebaus)
Die Summer School hat gezeigt, dass auch in einem zum Abriss freigegebenen Bestandsgebäude eine Menge Werte stecken – sowohl einzelne Ressourcen im Sinne von Baustoffen, Bauteilen und Materialien als auch emotionale, historische und gemeinschaftliche Werte für das Quartier. Durch die neue Begrünung wurde ein qualitätvoller Außenraum geschaffen, der an heißen Tagen einen angenehm kühlen Rückzugs- und Aufenthaltsort bietet, bei Starkregen oder auch Niederschlag Wasser aufnehmen kann und Biodiversität ermöglicht – gerade im Kontext der Klimakrise besonders wichtige und zukunftsbezogene Qualitäten.