Innenstädte verändern sich – damit stehen gerade Klein- und Mittelstädte vor großen Herausforderungen. Baukultur NRW hat Akteur*innen von Städten und Projektentwickler*innen zum Diskurs eingeladen und mit ihnen drei neu-genutzte Warenhäuser im Ruhrgebiet besucht.
Wie viel Chance steckt in einer ehemaligen Großkaufhausimmobilie? Wie wichtig ist es, bei der Immobilienentwicklung die Stadtentwicklung mitzudenken? Seit einigen Jahren befasst sich Baukultur Nordrhein-Westfalen mit Fragen der Innenstadtentwicklung in Ausstellungen, Veranstaltungsformaten und Publikationen. Im Rahmen dessen hat Baukultur Nordrhein-Westfalen mit Akteur*innen, die sich mit der Gestaltung unserer Städte beschäftigen und diese aktiv voranbringen, eine Exkursion in die Ruhrgebietsstädte Essen, Herne und Recklinghausen gemacht, um mit ihnen die Innenstadt als Möglichkeitsraum neu zu entdecken. Es ging um die Vorstellung unterschiedlicher Wandelkonzepte, veränderter Trägerschaften und Projektstrukturen und im Besonderen um den persönlichen Austausch.
Dazu gab es fachliche Inputs unter anderem von Daniel Sieveke (Staatssekretär MHKBD, Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen), Dr. Frank Dudda (Oberbürgermeister Stadt Herne), Georg Gabriel (Stadt Recklinghausen), Martin Schlegel (Stadt Essen), Peter Köddermann (Baukultur NRW), Nina Hangebruch (ILS, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung), Prof. Yasemin Utku (TH Köln) und Dr. Siegbert Panteleit (Geschäftsführer „SPE. Standort und Projektentwicklung“). Durch den Tag begleitet hat Sebastian Schlecht von Baukultur NRW.
Städte verändern sich, Tag für Tag, aktuell stehen besonders großdimensionale innerstädtische Handelsimmobilien im Fokus der Verwandlung. Große Kaufhausketten, die jahrzehntelang als Motor der Stadt betrachtet wurden und das Bild unserer Innenstädte geprägt haben, werden immer häufiger zu Leerständen in den Einkaufsstraßen. Sie hinterlassen nicht nur große Baubestände mit leeren Schaufenstern, sondern stehen symbolhaft für veränderte Kaufgewohnheiten und leblose Innenstädte, die zukünftig besonders Klein- und Mittelstädte vor großen Herausforderungen stellen. Dass diese Entwicklungen nicht nur zu Problemen führen, sondern auch mit Chancen der Neubewertung von städtischem Raum verbunden sind, beweisen neue Nutzungsmodelle und Prozesse mit Misch- und Zwischennutzungen, die diese Immobilien als Teil der Stadtentwicklung betrachten.
Die Neuen Höfe in Herne: Umwandlung einer Problemimmobilie
Ein Beispiel dafür sind die Neuen Höfe in Herne. Nach jahrelangem Leerstand beleben heute Büros, ein Fitnessstudio, Ladenlokale und eine Gastronomie mit Außenterrasse den Gebäudekomplex am zentralen Robert-Brauner-Platz, der als urbanes Zentrum und Mittelpunkt des Einzelhandels in Herne gilt.
Mit den Neuen Höfe entstand ein zeitgemäßes Gebäude mit multifunktionalem Nutzungskonzept, das den Denkmalschutz erhält und den 1960er-Jahre-Warenhaus-Charakter des vom Architekten Emil Fahrenkamp errichteten Gebäudes integriert und weiterdenkt. Dafür wurden die Neuen Höfe 2021 mit dem polis Award in Silber (Kategorie Reaktivierte Zentren) sowie mit dem silbernen FIABCI Prix d´Excellence Germany (Kategorie Gewerbe) ausgezeichnet.
Laut Stadtoberhaupt Dr. Frank Dudda ist es besonders wichtig gewesen, nicht nur auf traditionelle Leitmotive der Stadt Herne zu bauen, sondern auch politische Beteiligungen neu zu denken. Die Stadt Herne setzt daher verstärkt auf die Partizipation von Bürger*innen, um die Bedarfe und Möglichkeiten ihrer Innenstadt zu erfahren.
Das MarktQuartier in Recklinghausen: Großimmobilie als Chance
Auch in Recklinghausen entwickelt sich eine Großimmobilie zu einer neuen Chance für die Innenstadt: Mitten in der historischen Altstadt entsteht aus dem ehemaligen Karstadt Warenhaus das MarktQuartier. Damit erhält das alte, monofunktional genutzte Gebäude eine vielseitige Ausrichtung, die positive Wechselwirkungen ermöglichen soll. Es entsteht ein Ort, der sowohl attraktive Angebote als auch eine hohe Aufenthaltsqualität für die Bürger*innen bereithält.
Eröffnet wurden dafür bereits ein Aldi-Markt, ein Café mit großem Außenbereich sowie eine Apotheke. Außerdem im Bau befinden sich eine Kita mit großer Dachterrasse, Büroflächen, eine Zahnarztpraxis, seniorengerechte Wohnungen mit der Möglichkeit des betreuten Wohnens sowie ein Hotel. Für das Hotel entstand ein architektonisch anspruchsvoller Neubau, der das historische Warenhaus ergänzt.
Das alte Gebäude von 1970 zeichnet sich zwar durch eine besondere Natursteinfassade aus, die das Stadtbild über viele Jahre hinweg geprägt hat und daher für viele Bürger*innen von emotionaler Bedeutung ist, steht jedoch nicht unter Denkmalschutz. Dennoch war es für Lea Scholze, Prokuristin der AIP Projektentwicklung GmbH, ein besonderes Anliegen, die Fassade sowie möglichst viel Bestand des Gebäudes zu erhalten. Mit einer Zwischennutzung gelang es auch, viele Bürger*innen schon im Prozess der Umnutzung in das Gebäude einzuladen.
Der Königshof in Essen: Objektentwicklung als Teil der Stadtentwicklung
In Essen hat sich der einstige Kaufhof aktuell in eine Großbaustelle verwandelt. Seit 2021 wird hier der Königshof, der sich in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof im Herzen der Essener Innenstadt befindet, vom Bauherrn Kölnische Haus- und Grundstücksverwaltung Dr. Koerfer umgebaut und revitalisiert.
Vorgesehen sind neue Handelsflächen im Unter- und Erdgeschoss. Auf einer Fläche von 6.500 Quadratmetern wird im Untergeschoss, das sich zu 80 Prozent unter dem Willy-Brandt-Platz befindet, ein Fachmarkthandel mit verschiedenen Lebensmittelläden und eigenem Zugang zur Essener U-Bahn entstehen. Im Erdgeschoss können sich auf einer Verkaufsfläche von 3.200 Quadratmetern 42 einzelne Stände zu einer Markthalle zusammenschließen. In den fünf Obergeschossen sind moderne, multifunktionale Flächen wie Büros geplant.
Das Gebäude wurde dafür nahezu komplett entkernt, mit dem Bestand wird dabei sorgfältig umgegangen. Durch ein Atrium über die Etagen eins bis fünf fällt Tageslicht ins Gebäude. Ziel ist es, das Haus zu öffnen und einen Blick in den Himmel zu schaffen, sagt Michael Gluth von der Körfer Gruppe als Bauherr des Projekts. Die Fertigstellung des neuen Königshofs ist für Mitte 2024 geplant.
Wie Transformation gelingen kann
Alle drei Objekte zeigen, wie vielfältig die Umnutzung von Bestandsbauten aussehen kann. Entscheidend ist dabei laut Stadtplanerin und Architektin Prof. Yasemin Utku von der TH Köln, dass jede Stadt anders funktioniert. Deswegen ist es wichtig herauszufinden, was die Stadt und ihre Bürger*innen ausmacht. Das funktioniert nur gemeinsam mit den Menschen. Immobilienentwicklung muss demnach immer zusammen mit Stadtentwicklung und Quartiersplanung gedacht und verbunden werden, um die neuen Chancen ehemaliger Warenhäuser optimal zu nutzen und nachhaltige Konzepte im Möglichkeitsraum Innenstadt zu realisieren.
Weitere Informationen, Positionen, Handreichungen und viele Beispiele für Wandelprozesse in unseren Innenstädten finden Sie in unseren Publikationen:
Im Mai 2019 startete die Ausstellung „Gute Geschäfte. Was kommt nach dem Einzelhandel?“ Die aus bis zu 100 Würfeln bestehenden Ausstellungen fasst die bisherigen Erkenntnisse und Erfahrungen von StadtBauKultur NRW mit dem Thema zusammen und stellt Sie den Städten und Gemeinden zur Verfügung.
Unter dem Titel „Schauzeit – Zeig dich in Rheydt“ beleben bis zum 26. September zahlreiche Geschäftsideen leerstehende Ladenlokale in der Rheydter Innenstadt.
Vom Problemfall zum Lebensraum, von der Großimmobilie zum Multi-Use-Case: drei Perspektiven für die Innenstadt als Ort des gemeinsamen Erlebens. Ein Kommentar von Sebastian Schlecht.
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