Wann beginnt Stadtplanung?
Die „Phase 0“ - eine Schärfung des Begriffs
Städte und Kommunen stehen heute vor grundsätzlichen Herausforderungen der Stadtgestaltung. Viele Erwartungen verändern sich und es verschieben sich die Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung. Der Klimawandel, die Verkehrswende und Bedürfnisse der Stadtgesellschaft formulieren Fragen nach zukünftigen Funktionen und Angeboten neu. So verliert der Einzelhandel seine stadtbildprägende Funktion für Innenstädte. Verkehrsräume werden neu aufgeteilt und öffentliche Räume weitergebaut, weil sich Mobilitätansprüche und Wertschätzungen für Raumgestaltungen verändern. Gleichzeitig formuliert sich der gesellschaftliche Wunsch, Innenstädte wieder als bezahlbaren Wohnort zu begreifen – bis dato in vielen Städten eine finanzielle Herausforderung. Stadtplanung muss sich mit diesen sehr vielschichtigen Anforderungen auseinandersetzen und den neuen Herausforderungen annehmen, will man zukünftig lebendige Formen des Zusammenlebens anbieten.
Erwartungen, Interessen, Funktionen und Ziele der Stadtgestaltung ins gegenseitige Verhältnis zu setzen, benötigt neue themen- und interessenübergreifende Prozesse. Die Neuausrichtung städtischer Räume fordert die Beteiligungen vieler Akteur*innen. Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Bürgerschaft sind natürliche Partner*innen der Stadtgestaltung und Stadtmacher*innen und Ideengeber*innen sind aufgerufen, sich zu beteiligen. Das Ideal der Stadtgestaltung beinhaltet einen frühzeitigen Dialog aller Beteiligten. Hierfür braucht es zeitgemäße Prozesse und Kommunikationsformate, die an der Schnittstelle von Auftrag, Planung und Auseinandersetzung fungieren.
„Phase 0“ als Start der Planung
Stadtplanungsprozesse sind nach der Honorarordnung der Architekt*innen in neun Phasen gegliedert und beginnen mit der Phase 1 zur Bedarfsfeststellung aus Sicht der Kommunalverwaltung. Planung sollte jedoch mit der Einbindung vieler Akteur*innen beginnen, um den Planungsraum zu thematisieren und so frühzeitig anzufangen, sodass zu Beginn über Ziele kommuniziert wird, Ideen gedacht werden können und sich Kooperationen bilden dürfen. Dieser Start ermöglicht einen Dialog zur Gestaltung und formt die nachfolgenden Planungsstrukturen.
Eine Phase 0 bildet Grundlage für nachfolgende Planungsschritte. Eine Phase, in der Fragestellungen, Ideen, Interessen vorformuliert werden, sich Partnerkonstellationen bilden können, um sie mit bestehenden Anforderungen zu einem gemeinsam getragenen Bild zu verbinden und eine allseits getragene Stadtentwicklung zu initiieren.
Den Beginn einer Phase 0 bilden der Aufruf zur Auseinandersetzung mit dem Stadtraum und die Ansprache möglicher Akteur*innen. Es folgt eine Sensibilisierung für die Situation und den Raum für eine begrenzte Zeit. In dieser Zeit werden die Fragen, Anforderungen und Qualitäten an den Raum formuliert und ein gemeinschaftlich getragener Diskurs über den Ideenraum angeregt. Eine Phase 0 kann so einen Dialograum erzeugen, indem sich Menschen treffen, um sich zu ihrem Stadtraum austauschen. Ein Programm aus Interventionen, Aktionen, Veranstaltungen, das unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen einbezieht und einen Treffpunkt der Stadtgesellschaft schafft. Eine Zeit, die zur Auseinandersetzung mit der eigenen Stadt, ihren Atmosphären, Bildern und Möglichkeiten auffordert und den Dialog zwischen den Interessen zu erzeugen hilft.
Der Stadtraum als Dialograum
Beiträge und Herangehensweisen aus der Nachbarschaft, Interventionen von Künstler*innen, verbunden mit wissenschaftlichen Betrachtungen und Informationsformate der Planung, studentische Raumexperimente und Aktionen und Angebote des Handels vor Ort können eine vielfältige Choreografie eines Phase-0-Prozesses ausbilden. Künstlerische und wissenschaftliche Methoden im Umgang mit Räumen lassen Stadträume atmosphärisch neu sichtbar werden und das Lesen solcher Räume zu einem spannenden Prozess werden. Mit überraschenden Elementen kann eine Perspektive auf alltäglich genutzte Räume neue Chancen, Sichtweisen und Potenziale offenbaren. Baukultur kann mit einer eigenen Perspektive die Auseinandersetzung und die Sensibilisierung von Räumen fördern und unerwartete Befunde generieren. Eine besondere Atmosphäre führt zu einer besonderen Auseinandersetzung mit dem Raum.
„Phase 0“ …und dann?
Die Ideen und Ergebnisse dieses Dialogs werden zusammengeführt und in den weiteren Planungsprozess eingegeben. Ausschreibungen und das Engagement der Auftraggeber*innen entscheiden über die Qualität und den Erfolg des Vorhabens. Diesen Übergang zu stärken und in den Fokus zu nehmen ist einflussreicher Aspekt für den Erfolg der Phase 0. Diese Form des Briefings übersetzt die festgestellten Bedürfnisse und Aufträge für die Planer*innen um diese weiter zu verwenden. Sie bilden den Ausgangspunkt für die Ausgestaltung des weiteren Planungsprozesses.
Das Angebot von Baukultur Nordrhein-Westfalen
Baukultur Nordrhein-Westfalen eröffnet 2022 sein Labor zur Phase 0. Wir begleiten Kommunen, Initiativen, Akteur*innen bei ihrer Thematisierung von Stadtgestaltung – unter anderem in Köln, Witten, Gelsenkirchen. Dabei unterstützen wir einerseits die Akteur*innen vor Ort bei ihrer Arbeit und Auseinandersetzung. Andererseits untersuchen wir Prozesse, Aktionen, Interventionen und Formate auf ihren Gehalt und Effekte für die Stadtentwicklung.
Ziel muss es sein, Stadt gemeinschaftlich zu denken, Planung bei ihren Analysen zu unterstützen und den Dialog zu lebendigen Räumen des Zusammenlebens zu fördern.